Auf See

Ein paar Konstanten gibt es ja doch im Leben und dazu gehört der Schlaf. Wer zu wenig schläft, verkümmert. Wer zu lange wach ist, wird ­aggressiv, depressiv oder krank und ab einem gewissen Punkt schlicht­weg wahnsinnig. Überrascht lese ich daher im Zeit Magazin, dass die Schauspielerin Sydney Sweetney, 26, über einen längeren Zeitraum mit sehr wenig Schlaf auskommen kann, teils mit nur zwei Stunden. Sydneys Energie könnte ich gerade gut brauchen. Fühle mich erschöpft, gleichzeitig überdreht, nehme alles überzeichnet wahr. Seit knapp zwei Wochen segeln wir über den endlosen Pazifik. Wir befinden uns auf halber Strecke zwischen Mexiko und Französisch Polynesien und ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Vielleicht ist es zwei Uhr nachts, vielleicht hat sich die Zeit aber auch verschoben, nach vorne oder nach hinten, wer weiß. Oft schrecke ich aus dem Tiefschlaf auf, rufe nach Wolf, der entspannt im Cockpit sitzt und liest. Verwirrt stehe ich dann im Niedergang. Es ist ein sonderbar intensives Gefühl, sich übers Meer tragen zu lassen, fernab von allem.

Feuchtheißer Wind weht ins Cockpit, die Luft ist schwer und schwül, meine Haut dampft, mein Blut scheint zu kochen. Wir stecken mitten in der ITCZ, der innertropischen Konvergenzzone, einem Tiefdruckgebiet entlang des Äquators. Hier strömt der Nordost- mit dem Südostpassat zusammen. Die beiden Windsysteme kämpfen gegeneinander, das Resultat sind heftige Böen, dunkle Wolken, kräftige Niederschläge, Gewitter und eine aufgewühlte See. El Niño hin oder her, das Meer ist einfach viel zu warm. Wir messen 30 Grad. Wie gern würden wir bald ankommen. Doch Ungeduld hilft nicht. Also üben wir uns in Gelassenheit, treiben Nomad voran, verrichten unzählige Segelmanöver. Irgendwann werden wir unser Ziel erreichen, das wissen wir. Mitten am Ozean fühlen wir uns weder mutig, heldenhaft oder tapfer, sondern spüren wieder einmal, wie klein, schwach und zerbrechlich wir sind.