Ressort
Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
Es sollte ein kurzer Abschied werden – und es wurde ein halbes Jahr daraus: Mother Ocean parkte in in der Bas-du-Fort Marina in Guadeloupe. Ihr Skipper kittete derweil in Wien die Scherben seines Brotberufs. Und wären da nicht ein paar Gute – er sitzert im Dezember auch noch da….
Mein Laptop hat ein bissl Reisefieber. Irgendwo auf seiner Festplatte rotiert die Buchungsbestätigung für einen Air France-Flug nach Guadeloupe. Seine Speicher füllen sich mit Projekten, Adressen und Notizen, denn ich sperre meine Textproduktion nicht zu. Ich arbeite nur für die nächsten Wochen unter Palmen.
Bitte, falls wer denkt, das tät er oder sie auch gern: Leute, das wird kein Urlaub. Und das sag nicht ich. Das sagt Chris Kessell. Kennt hier keiner? Gut: Chris schaut aus wie ein Bankkassier, arbeitet wie eine Maschine und sieht wie ein Röntgenapparat. Gut so, denn er ist Surveyor, also Bootssachverständiger.
Ich hab ihn letzten Winter in St. Lucia engagiert, um die Reparaturarbeiten von Island Dreams zu beurteilen. Beim zwölften „Oh, shit!“ hörte ich auf zu zählen. Jedenfalls: In der Karibik kann ich, so wie Mother Ocean beinander ist, gern herumsegeln, sagte Chris. Aber über den Atlantik? „If a storm wave hits, you might lose the stern of the port hull“, sagte er. Bitte, er sagte „lose“! Mag wer dabei sein, wenn ein Wharram das Heck vom Backbordrumpf abwirft? Mitten auf dem Ozean? Ich eigentlich nicht.
Also packe ich jetzt 20 Kilo Werkzeug ein, fliege nach Guadeloupe, segle auf Filzpatschen nach St. Lucia, hebe die Mother in der Rodney Bay raus und tausche im Backbordheck zwei Schotten, eine Längswand und das Deck aus. Falls sich das jemand bildlich vorstellen möchte: Zwangsarbeit in einer chinesischen Kohlenmine ist eine passable Annäherung. Du kriechst bei 40 Grad und mehr durch einen engen Schlauch und raufst mit dem Material. Nur dass der Staub nicht Kohle ist, sondern Holz, Epoxi und Glas. Reimt sich auf Spaß? Reiner Zufall, keine Absicht. Zur Erholung mache ich dann am Abend meinen angestammten Job.
Dass ich nicht reparieren lasse, sondern selber repariere, hat erstens mit meiner erworbenen Phobie vor allen Arten von karibischen Dienstleistungen zu tun. Und zweitens mit dem Loch auf meinem Konto: Als ich im März aus der Karibik heimkam, war mein langjähriger größter Kunde nicht mehr da. Zugesperrt. Aus, Maus. Umsatzprognose mit einem Schlag halbiert. Den Rest vom Jahr verbrachte ich damit, in einer Szene, in der die Irren die Anstalt übernommen hatten, mein Geschäft wieder aufzubauen. Vor 15 Monaten lebten wir alle vom Kapitalismus. Jetzt heißt er Kaputtalismus und von dem zu leben ist ein hartes Brot. Aber echt.
Naja. Ich hab auch das überstanden. Und wenn ich in drei Monaten hier im Blog vermelden kann, dass die Mother wieder ein wirklich ozeantüchtiges Boot ist, verdanke ich es ein paar Guten, denen ich diese Zeilen ganz persönlich widmen möchte.
Da ist einmal die Elisabeth Koschier, die seit zehn Jahren mein Leben teilt und prinzipiell keine Bäume aufstellt, außer um mit ihnen mein Rückgrat zu stärken. Aufgeben tut sie allenfalls Briefe. Von mir erwartet sie das Selbe. Und das ist eine gute Motivation. Danke, Liebste. Dass Du mir jede Reise leicht machst, macht jeden Abschied um so schwerer.
Dann wär da der Bröthaler Raimund. Ich lernte ihn diesen Sommer bei TurnOn kennen, als er gerade das 12. Ankermanöver des Tages dirigierte. Nicht auf seinem eigenen Schiff, sondern auf einem von jenen, deren Skipper kein Händchen für das Ankern in durchwühltem Schlammgrund hatte. Mitten im Manöver teilte man ihm per Funk mit, dass auf seiner Yacht das Bordklo streikt.
„Kennst Du Dich mit Häusln aus?“ fragte er mich. „Jabsco?“ – „Jabsco!“ – „Schwarzer Griff oder grauer Griff?“ – „Grau.“ – „Fünf Minuten.“
Ich brauchte dann doch zehn Minuten, weil die Dichtung eigentlich reif für den Vorruhestand war. Aber als der Bröthaler an Bord kam, war das Klo wieder nominal. Und ich hatte nicht nur das Match mit dem Material gewonnen, sondern auch einen Freund. Ich erzählte ihm überm zweiten Bier von der Mother, Ihrem Heck und meinem kommenden karibischen Abenteuer. „Wennst wen brauchst, der mithilft – im Winter hab ich Zeit“, sagte er. Und falls wer denkt, eine solche Ansage hält… - hat er Recht. Der Bröthi fliegt mit und teilt im Dezember und Jänner meinen privaten Gulag. Danke, Mann.
Und obwohl ich jetzt eigentlich zum Schlusse eilen möchte, weil ich noch irrsinnig viel um die Ohren hab, bevor der Flieger geht: Den Zdenko Bedek darf ich also wirklich nicht auslassen, denn der ist für alle künftigen Zeiten mein liebster Herzchirurg.
Nein, Kasperl hatte ich noch keinen, nicht erschrecken bitte. Aber ich hab im Zuge der Arbeiten eine motorische Herztransplantation an meinem Boot vor. Es ist nämlich so, dass ich kein mutiger Kapitän bin, sondern ein alter Kapitän werden will. Das Eine schließt das Andere bekanntlich aus. Und mir fehlt einfach der nötige Mut, um auf dem geplanten Transat im Mai ein paar hundert Liter Benzin für meine Außenborder mitzuführen.