Sehnsucht nach dem Norden
Nach eineinhalb Jahren in der Südsee segelten die Seenomaden nach Alaska, wo sie in ungezähmter Natur ihren Hunger nach Abenteuer und Herausforderung stillen konnten
Entscheidungen machen das Leben schwer. Lange zweifeln wir an unserem Plan, die Südsee nach eineinhalb Jahren zu verlassen. Etwas zieht uns weiter und hält uns zugleich fest. Komplizierte Zeiten für Freigeister. In der Pandemie schrumpft unser Reiseradius, denn bis auf Fidji sind nach wie vor alle Inselstaaten im Pazifik geschlossen. Uns bleiben lediglich drei Optionen: Mexiko oder Panama, mit der Aussicht, tausende Meilen gegen den Passat aufzukreuzen, worauf wir ehrlich gesagt keine Lust haben, oder die USA. Über Hawaii nach Alaska, das klingt nach Abenteuer. Aber wollen wir wirklich raus aus den betörenden Tropen und rein in Kälte und Nässe? Weg von sonnendurchfluteten Inseln und rauf in die hohen Breiten? Die Sehnsucht, mit Nomad endlich wieder eine längere Ozeanstrecke zu segeln, endlich wieder neue Horizonte anzusteuern, ist unermesslich groß. Also halten wir Kurs Nord, dorthin, wo es zuweilen anspruchsvoll, harsch und ungastlich zugeht. Das Prickeln eines Neuanfangs macht sich breit. Lossegeln ist enorm befreiend.
Dennoch stelle ich mir bei bissigen Gegenwinden, Dauerregen und einer Wassertemperatur von sieben Grad öfters die Frage: Warum sind wir nicht in der Wärme geblieben? Wäre es in der Südsee nicht leichter, einfacher gewesen? Wäre es ganz bestimmt. Nur ist einfach und leicht nicht immer das, was wir wollen. Und dann hätten wir dieses irrwitzige, gewaltige, unwirtliche Revier verpasst. Und das, was es mit uns macht.
Die Kraftanstrengungen der langen Reise von den Marquesas nach Alaska, diese unbequemen, salzigen 4.500 Seemeilen waren rückblickend eine Herausforderung an uns selbst. Wenn du Vertrautes hinter dir lässt, weißt du nicht, was dich erwartet – liegt darin das Geheimnis eines erfüllten Lebens?
Komischerweise spüren wir bei unserer Ankunft auf der Insel Kodiak keinerlei Erschöpfung, die Anspannung ist wie weggeblasen. Endlich in Alaska! Land der Träume und Fantasien, letzte Wildnis, in der man sich das Abendessen noch selbst mit der Flinte schießen kann, Mythos der Freiheit und Gesetzlosigkeit. Kaum festgemacht in der Marina, schenkt uns Willy, ein Fischer, zwei Lachsfilets. Elke vom Hafenbüro borgt uns ganz selbstverständlich ihr Auto, damit wir zum Supermarkt fahren können. Es ist geradezu berauschend, so empfangen zu werden. Mit offenen Armen. Fast fühlt es wie eine Belohnung an. Dafür, dass wir hierher gesegelt sind. Wie kann sich ein Ort, ein Land so anders anspüren? So aufsässig, mutig, trotzig? Kann Unterwegssein eine Verführung sein? Kann Reisen das Leben so federleicht machen?
Große Gefühle
Die stille Freude, als in der Marmot Strait Wale neben unserem Boot auftauchen. Das Herzklopfen, als wir vor der Abbruchkante des Northwestern Gletschers im warmen Sonnenlicht treiben. Der Ärger über den Weißkopfseeadler, der auf unserer Mastspitze landet und dabei die Windex zerbröselt.