Alte Liebe rostet nicht
Der Österreicher Raphael Fichtner erfüllte sich seinen Kindheitstraum, renovierte ein altes Stahlschiff und fuhr auf eigenem Kiel von Linz nach Amsterdam. Verena Diethelm hat er von Corona-Hürden, Fluss-Hexen und dem Projekt Mitternachtssonne erzählt
Die meisten Buben schwärmen für Sportautos, Fußball, Dinosaurier oder ihre Lehrerin. Die wenigsten entwickeln so wie Raphael Fichtner eine Leidenschaft für ein altes Stahlschiff. Der gebürtige St. Pöltener verbrachte als Kind mit seinen Eltern regelmäßig die Sommer auf dem Attersee und sah dort 1992, da war er gerade zehn Jahre alt, zum ersten Mal die Taranga. “Ich verliebte mich in das Schiff und rang dem Eigner das Versprechen ab, mich zu verständigen, sollte er die Taranga jemals verkaufen“, erinnert sich Fichtner.
Der Eigner, ein gewisser Ernst Köberl, war damals in seinen Siebzigern und fuhr mit der Taranga im Sommer wie im Winter kreuz und quer über den Attersee. Der Schlossermeister, der in seiner Sturm- und Drangzeit ein abenteuerlustiger Weltenbummler gewesen und einige Jahr zur See gefahren war, hatte sich den Reinke-Riss im Selbstbausatz zu Weihnachten geschenkt und von 1973 bis 1976 zusammengebaut. Nach einer Probesaison am Traunsee diente der 10,70 Meter lange Multiknickspanter fünf Jahre als Charteryacht im damaligen Jugoslawien. Dann brach der Balkan-Krieg aus, die Taranga kehrte ins Salzkammergut zurück und bezog ihren Liegeplatz in der Haitzinger Werft am Attersee.
Wie Köberl zog es auch Fichtner auf die See. Er heuerte bei den Tres Hombres und fuhr ein Jahr lang als Matrose auf dem niederländischen Rahsegler Morgenster von St. Petersburg bis Calais und von Rostock bis Dover. Nach der Ausbildung an der Seefahrtsschule in Enkhuizen stieg Fichtner zum Bootsmann, Maschinisten und 3. Steuermann auf der Morgenster auf.
2010 kehrte Fichtner an den Attersee zurück, um beim Haitzinger das Bootsbau-Handwerk zu lernen. Da er noch keine Wohnung hatte, zog er kurzerhand auf ein altes Stahlschiff – die Taranga. Damit schloss sich ein Kreis, gleichzeitig öffnete sich ein neuer. Der inzwischen über 80-jährige Köberl musste das Segeln aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Es sollte zwar noch ein paar Jahre dauern, bis Fichtner die Taranga auch offiziell sein Eigen nennen durfte, doch der Kindheitstraum war zum Greifen nah.
Plan und Wirklichkeit
Für Fichtner war klar: Die Taranga (was auf Hindi so viel wie Welle bedeutet) sollte wieder im Salzwasser schwimmen, am liebsten in der ihm inzwischen bestens bekannten Ost- und Nordsee, und ihn irgendwann bis zum Nordkap führen. "Es gibt viele, die am Flussweg bis ins Schwarze Meer fahren, aber nur wenige, die es stromaufwärts wagen. Ich habe drei Jahre lang in Holland gelebt und wollte immer auf eigenem Kiel zurückkehren", erklärt Fichtner.
Um das Schiff, das seit über 30 Jahren kein Meer gesehen hatte, fit für das Projekt “Mitternachtssonne” zu machen, setzte Fichtner ein paar kleine Renovierungsarbeiten an. "Der Plan war, einen starken, zuverlässigen Motor einzubauen und die durchgerostete Scheuerleiste zu erneuern", erzählt der inzwischen 39-Jährige. Dass es bei Plänen in den seltensten Fällen bleibt, weiß jeder, der schon mal ein altes Schiff renoviert hat. Insgesamt drei Jahre werkte Fichtner, der im Brotberuf als Bootsbauer und Kapitän auf einem Fahrgastschiff am Attersee arbeitete, an der Taranga. Das Innere wurde bis aufs Kasko entkernt, Rost entfernt, Löcher geschweißt, der gesamte Rumpf neu grundiert und lackiert, alle Holzteile zerlegt, gebeizt und lackiert, ein neuer Motor und neue Tanks eingebaut.
Im Frühling 2020 wäre die Taranga bereit für die Abfahrt gewesen, doch dann kam Corona; Lockdowns und Grenzsperren machten den Aufbruch unmöglich.