Gut gebrüllt
Clipper Race. Eine Regatta über den Southern Ocean ist das Ungemütlichste, das sich ein Hobbysegler antun kann. Freud und Leid liegen in dieser unwirtlichen Gegend sehr nah beisammen, hat Verena Diethelm am eigenen Leib erfahren
Wenn ich mich ganz klein mache, fest an die Bordwand drücke und so tief in meinem Schlafsack vergrabe, dass nicht mal ein Haarbüschel hervorschaut, vielleicht finden sie mich dann nicht. Bitte. Vielleicht vergessen sie mich aufzuwecken und ich kann mich weiter an meine Wärmflasche kuscheln und muss nicht hinaus in die Finsternis, Nässe und Kälte. Nicht dorthin, wo der Wind direkt aus der Antarktis heraufbläst und ein furchterregendes Konzert im Rigg zum Besten gibt, wo sich Regen und Gischt vermischen und dir unaufhaltsam ins Gesicht klatschen. Kurzum, wo die Brüllenden Vierziger ihrem Namen mehr als gerecht werden.
Vor eineinhalb Wochen bin ich an Bord der 70-Fuß-Rennyacht Perseverance zur 3. Etappe des Clipper Round the World Yacht Race aufgebrochen. Sie führt von Kapstadt, Südafrika nach Fremantle, Australien und ist eine echte Bewährungsprobe. In dieser Gegend südlich des 40. Breitengrades, so besagt eine alte Seglerweisheit, gelten keine Gesetze. In den berüchtigten Roaring Forties zirkulieren Wind und Wellen mangels Landmassen völlig ungehindert rund um den Globus und nehmen so gehörig Fahrt auf.
Doch der stürmischste aller Ozeane zeigte sich zunächst von seiner sanften Seite – blauer Himmel, Sonnenschein und 25 Knoten Wind aus nördlichen Richtungen, sodass es an Deck nie weniger als milde acht Grad hatte. So erfreuten wir uns herrlicher Segeltage. Einziger Wermutstropfen: Gleich zu Beginn begann sich unser Code 3, der kleinste und für diese Etappe wichtigste Gennaker, in einer Halse in zwei Hälften zu teilen. An den darauffolgenden windschwachen Tagen war daher ein vierköpfiges Team abwechselnd mit der Reparatur beschäftigt, scheiterte jedoch zunächst an der Verstärkung am Schothorn.
Gruppenarbeit
Zum Glück haben wir noch zehn weitere Segel mit einer Gesamtsegelfläche von 1.548 Quadratmetern zur Wahl: Außer dem Groß, in das drei Reff eingebunden werden können, gibt es noch drei Yankee, ein Stagsegel, zwei größere Gennaker, sowie ein Trysegel und eine Sturmfock. Ein Vorsegelwechsel auf einer Clipper 70 ist eine kraftraubende und zeitintensive Aufgabe. Zunächst muss das neue Segel, das deutlich schwerer als ein ausgewachsener Mensch ist, aus der Segellast an Deck gehievt werden. Dazu braucht es mindestens drei Personen. Beim Bergen sind fünf Crewmitglieder am Vorschiff im Einsatz, mindestens zwei im Cockpit und zwei weitere hinter dem Traveller. Das alte Segel muss gesichert, das neue von zwei Personen mit Stagreitern am Stag befestigt werden. Da wir mit insgesamt 17 Crewmitgliedern leicht unterbesetzt sind, sind unsere beiden Wachen bestenfalls sieben bzw. sechs Köpfe stark. Daher müssen die Segelwechsel gut getimt werden und fallen meist in die Zeit des Wachwechsels. Geht alles gut, dauert der Segelwechsel etwa eine Stunde.
Noch aufwendiger ist das Bergen des Gennakers, der durch die sogenannte Letterbox, den Schlitz zwischen Baum und Groß, in den Niedergang gezogen wird. Unter Deck wird das Segel dann im Salon und in den Korridoren ausgelegt, möglichst eng zusammengerollt und mit Wollfäden zusammengebunden. Nicht nur beim 330 Quadratmeter großen Code 1 artet das in eine kolossale Wurschtelei aus.
Eiskaltes Händchen
Seit einigen Tagen nähern wir uns dem von der Wettfahrtleitung vorgegebenen Eislimit von 46 Grad. Der Wind hat auf Süd gedreht, ein Tiefdruckgebiet ist im Anmarsch. Die Wellen haben auf rund sechs Meter zugelegt und zum ersten Mal tragen wir im Logbuch „very rough“ unter der Rubrik Seegang ein. Kurz nach dem Wechsel in die erste Nachtwache erwischt uns das Tief und schickt eine mächtige Böe mit 55 Knoten voraus. Zum Glück ist die Off-watch schnell wieder zurück an Deck – mit vereinten Kräften wird die Yankee 2 niedergerungen und die Sturmfock gesetzt. Mein Thermometer hat schon Tage zuvor den Geist aufgegeben; 100 % Luftfeuchtigkeit waren auf Dauer wohl zu viel. Aber um zu wissen, dass es wirklich, wirklich kalt ist, brauche ich kein Messgerät: Bei Einschlafschwierigkeiten kann ich, anstatt Schäfchen zu zählen, meinem Atem beim Kondensieren zuschauen und die Nutella ist so steinhart, dass sie sich nur äußerst widerwillig auf dem Toast verteilen lässt.