Klima-Wandel
Blauwasser. Nach zwei Jahren in Kanada machen sich die Seenomaden auf den Weg in den Süden, segeln nach Mexiko und entdecken ein vielfältiges, reizvolles Revier
Als wir British Columbia in unserem Kielwasser lassen, stellt sich diese besondere Aufbruchsstimmung ein. Nur dass Aufbruch diesmal auch Abschied heißt. Abschied von Kanada, das zwei Jahre lang Nomads Gastland war. Ein spezieller Flecken Erde mit grandioser Natur und unkomplizierten Bewohnern, die es einem so leicht machen, sie zu mögen. In Kanada herrscht ein anderes Lebensgefühl, auch eine andere Schwerkraft. Dennoch spüren wir beide, dass es Zeit wird weiterzuziehen. Die Neugier treibt uns an. Wir wollen wissen, was hinter dem Horizont auf uns wartet und diesen Winter in wärmeren Gefilden, nämlich in Mexiko, verbringen. Vom Cabo San Lucas, der Südspitze der kalifornischen Halbinsel, trennen uns knapp 2.000 fordernde Seemeilen. Der mächtige Pazifik brandet an die amerikanische Westküste, der ein schlechter Ruf vorauseilt. Kaum Ankerplätze, nur eine Handvoll Häfen mit halsbrecherischen Einfahrten in tidengeplagte Flussmündungen. Stürme, Monsterwellen und Untiefen forderten schon so manchen Tribut. Mit der See spaßt hier niemand.
Ende September überfällt der erste scheußliche Herbststurm diese exponierte Küste. Ein Tiefdrucksystem von unglaublichem Ausmaß mit 960 Millibar Kerndruck und orkanstarken Winden. Wir verstecken uns in der Neah Bay Marina am westlichen Ausgang der Juan de Fuca Strait. Das stürmische Mistwetter aus südlicher Richtung bringt heftige Niederschläge mit sich, Regen prasselt wie Kies auf den Kajütaufbau. Wenn wir uns entschließen, aufs Meer zu fahren, dann nicht um dagegen anzukämpfen. Lieber nutzen wir die Kraft von Wind und Wellen, als gegen sie anzubolzen.
Eine Woche später hat Wolf einen guten Riecher für den Abfahrtstag. Unter einem Himmel, der wie blaue Seide schimmert, segeln wir mit Nordnordwest 20 bis 25 Knoten vor dem Wind hinaus in den aufgewühlten Pazifik. Im achterlichen Seegang vollführt Nomad eine ansehnliche Berg- und Talfahrt. Unser Boot schaukelt in den Wogen, als würde es über eine Buckelpiste eiern. So rollen wir durch das bewegte Meer, noch etwas benommen und vorsichtig, aber doch getragen von dem Gefühl, wieder unterwegs zu sein.
California Dreamin’
Washington und Oregon lassen wir links liegen und erreichen nach drei Tagen den Norden von Kalifornien. Crescent City ist einer der wenigen Häfen, die man jederzeit tidenunabhängig anlaufen kann. Wir warten bloß auf passende Winde und weiter geht’s. Weiter, immer weiter. Der Weg ist das Ziel und das Ziel heißt Mexiko. In San Francisco bleiben wir mehrere Tage – wer könnte dieser Stadt auch widerstehen –, danach taumeln wir in der riesigen Dünung und bei dichtem Nebel Richtung Süden. Unsere Stopps lesen sich wie die Bucket List eines Big Wave Surfers: Halfmoon Bay mit seinem berühmten Mavericks Surfspot, Santa Cruz, wo das Gejohle der Wellenreiter bis zu unserem Ankerplatz dringt. Oder Cojo Anchorage, wo ich tatsächlich in der Koje seekrank werde. Kalifornien pflegt ein sonniges Image. Der Golden State verheißt Glamour, Strand, Palmen, Surfen. Zugleich häufen sich Berichte über Verkehrschaos, Wassermangel, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit. Ein Land der Extreme, das gleichzeitig tieftraurig und überglücklich machen kann. Los Angeles wollen wir uns nicht antun. Wir umfahren die Millionenstadt im weiten Bogen und stecken Kurs auf die Channel Islands ab, die einzige Inselgruppe vor Kalifornien. Die Dünung läuft hoch, leider viel zu hoch, um in Cuyler Harbor auf San Miguel zu ankern. Wir drehen eine Ehrenrunde im windumtosten Hexenkessel und segeln hinaus in die Nacht. Nächster Stopp Cat Harbor an der Südwestseite von Santa Catalina, der einzig gut geschützten Bucht der Channel Islands. Über hundert Muringbojen verhindern freies Ankern auf vernünftiger Wassertiefe. Zähneknirschend schnappen wir uns eine, kostet 73 Dollar die Nacht. Das nächste Mal, meint der ältere Herr von der Harbor Patrol, sollten wir die Boje besser per App oder über das Internet buchen. Segeln im dritten Millennium. Für mich immer noch befremdlich. Einerseits klebt alles vom Salzwasser, die Hände sind rau, die Haare verfilzt. Andererseits genügen ein paar Klicks oder Fingerwische, um einen Liegeplatz zu buchen oder die Vorhersage von Wind und Wellenhöhe runterzuladen.