Überlebenskünstlerin mit Stil
Die vor 90 Jahren als einzigartige Luxusyacht vom Stapel gelaufene Sea Cloud durchlebte eine wechselhafte Geschichte und stand mehrfach vor dem Abgrund. Heute ist sie ein exklusiver Großsegler, auf dem sich die Gäste dem Zauber einer vergangenen Epoche hingeben können
Die 1887 in Illinois geborene Marjorie Merriweather Post war eine Frau von unermesslichem Reichtum. Sie hatte ein Vermögen von ihrem Vater geerbt, in zweiter Ehe einen millionenschweren Wertpapierhändler geheiratet und es stets verstanden, ihr Geld durch geschickte Transaktionen zu vermehren. Sie schien eine willensstarke, selbstbewusste und kluge Frau gewesen zu sein, die den großen Auftritt liebte, ihren Wohlstand ohne jede Scheu zeigte und in jedem Bereich nach Superlativen strebte. Als sie Mitte der 1920er Jahre beschloss, eine Viermastbark bauen zu lassen, sollte es daher der größte und schönste Großsegler sein, der jemals von einem privaten Eigner in Auftrag gegeben worden war. Ihrem Mann Edward Francis Hutton, der ein begeisterter Segler war und bereits vier Schiffe besessen hatte, gefiel diese Idee und er vergab dieses Prestige-Projekt an die Germania Werft. Es gab weltweit nur wenige Unternehmen, die sich auf den Bau eines Großseglers verstanden, und die Löhne waren damals, zur Zeit der Wirtschaftskrise, in Deutschland niedriger als in den USA. Während Hutton mit dem amerikanischen Konstruktionsbüro Gibbs & Cox über Riss und Takelage diskutierte, erklärte sich Marjorie für die Inneneinrichtung zuständig und widmete sich dieser Aufgabe mit großer Akribie. So ließ sie den Grundriss des Decks in Originalgröße auf den Boden einer riesigen Halle zeichnen und dort sämtliche Möbel aufbauen – quasi eine Art Vorläufer der heute üblichen Mockups. So stellte sie sicher, dass die Ausstattung der Yacht, die wie ihre Vorgängerinnen Hussar heißen sollte, bis ins kleinste Detail ihren Vorstellungen und ihrem Geschmack entsprach. Letzterer war irgendwo zwischen Prunk und Protz angesiedelt und möglicherweise ein wenig fragwürdig. Hochwertige französische Antiquitäten aus der Zeit Ludwigs XIV. wurden mit kitschiger Deko kombiniert, vor altdeutschen Eichenanrichten standen zu Sitzgelegenheiten umfunktionierte Holzfässer, die Bäder waren aus Carrara-Marmor, die Wasserhähne aus reinem Gold, die Teppiche aus dem Orient, die Sofas mit Brokat bezogen. Wie auch immer man diese Üppigkeit bewerten mag, die Hussar war jedenfalls kein glattgebügelter Schaustück, sondern ganz und gar Kind ihrer exzentrischen Eignerin.
Am 25. April 1931 lief der Viermaster in Kiel vom Stapel; davor hatte das einzige große Tanzlokal der Stadt für Monate seine Pforten schließen müssen, da in seinen Sälen die riesigen Segel geschneidert worden waren. Die Hussar galt als Meisterwerk der Schiffsbaukunst, schnell, elegant, komfortabel, aber auch besonders sicher. Zehn wasserdichte Schotten unterteilten den Schiffsrumpf, ein Doppelboden sollte vor Unterwasserschäden schützen. Es gab ein hochmodernes Drei-Wege-Leitungswassersystem, das heißes, kaltes und gekühltes Wasser spendete, eine Art Juke-Box mit 36 Schallplatten, die sich von jeder Kabine aus bedienen und abhören ließ, Lager, in denen man Proviant für sechs Monate bunkern konnte, und Tanks, die Treibstoff für eine Reichweite von über 20.000 Seemeilen fassten. Mehr könne man für sein Geld nicht bekommen, behauptete der Direktor der Germania Werft beim Stapellauf. Wie viel Geld das Ehepaar tatsächlich für die Hussar ausgegeben hat, ist unklar; wahrscheinlich wussten es die beiden selbst nicht ganz genau. Sehr wohl nachvollziehbar sind die zahlreichen Reisen, die nach der Jungfernfahrt unternommen wurden, zum Teil zu dritt mit der gemeinsamen Tochter, zum Teil mit prominenten Gästen. Marjorie führte darüber in zwölf ledergebundenen, bis heute erhalten gebliebenen Notizbüchern Protokoll – sie sind gleichermaßen Zeitdokument wie Sittengemälde und zeigen, dass die Hussar damals mindestens neun Monate im Jahr unterwegs war.
Auftritt von Diplomaten und Diktatoren
Die Hutton-Posts galten als Traumpaar ihrer Zeit – doch wie bei vielen Traumpaaren trügte der Schein. Nach 15 Ehejahren ließ sich das Paar im August 1935 scheiden; ob seine Affären oder ihre zunehmende Begeisterung für die Politik der Demokraten dafür den Ausschlag gegeben hatten, sei dahingestellt, der Großsegler blieb jedenfalls in Marjories Besitz. Sie ließ den ursprünglich schwarzen Rumpf weiß streichen und taufte das Schiff Sea Cloud. Was an Bord den alten Namen trug – Silber, Handtücher, Matten, Schilder – wurde ausgewechselt, auch viele Räumlichkeiten gestaltete die Eignerin neu. Ähnlich forsch krempelte sie ihr Privatleben um. Nur vier Monate nach der Scheidung heiratete Marjorie ihren alten Freund Joseph Davies, einen erfolgreichen Anwalt, der politisch für die Demokratische Partei tätig war. Als er zum Botschafter in Moskau ernannt wurde, folgten ihm sowohl Ehefrau als auch Schiff in die UdSSR. Letzteres wurde als schwimmender und abhörsicherer Diplomatenpalast nach Leningrad beordert und diente als Parkett für die Sowjet-Prominenz, die sich dort oft und gerne bei aufwendig arrangierten Dinner-Partys traf.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, versuchte das Paar, die Sea Cloud zu veräußern, es fand sich aber kein Käufer. 1942 überließ man das Schiff der US-Küstenwache. Masten und Bugspriet wurden demontiert, Rumpf und Aufbauten grau gestrichen, die edlen Möbel an Land verwahrt. Nun trug es den Namen IX-99, die Marine unternahm damit Patrouillenfahrten im Nordatlantik und sammelte Wetterdaten.