Wie es kam, dass in unserem Garten ein Schiff wuchs
Erinnerungen. Über einen Seemannsvater, Bugholz in der Badewanne, rotbraune Segel zwischen Bäumen und eine Kindheit am Neusiedler See
Warum jetzt? Mehr als drei Jahrzehnte, nachdem das Schiff verkauft wurde? Warum erzähle ich ausgerechnet heute von meinem Vater und seinem Schiff? Zufall. Also jene Art von Zufall, hinter der ein Google-Algorithmus steht, der einem mittlerweile 98-jährigen Mann auf seinem Smartphone eine Verkaufsannonce zuspielt: „Oldtimer-Holzboot vom Neusiedlersee!“, steht da auf Willhaben, „eine absolute Rarität!“ Mein Vater, dessen Augen in den letzten Jahren sehr schlecht geworden sind, erkennt auf den Bildern ein stämmiges Schiff mit weißem Rumpf, dunkler Scheuerleiste, Kajütaufbau, Handläufen und Bugspriet aus Holz: Das muss meine Freya sein, denkt er. Über 2.000 Arbeitsstunden hat er in den frühen 1970ern in den Bau dieses Schiffs gesteckt. Nun steht es für knapp 10.000 Euro zum Verkauf.
Wo beginnen mit der Geschichte? Ganz am Anfang am besten: An einem Septembertag im Jahr 1938 stieg mein Vater, der damals noch nicht mein Vater war, in Pöchlarn in einen Schnellzug nach Hamburg. Nach langen Diskussionen hatte seine Mutter, eine verarmte Werkmeisterswitwe, dem Drängen des jüngsten ihrer fünf Kinder nachgegeben und ihm vom letzten Geld das Notwendigste an Ausrüstung sowie eine Fahrkarte gekauft. Nun machte er sich auf den Weg zu den Landungsbrücken, um Seemann zu werden. Er war 13 Jahre alt. In seinem Pappkartonkoffer lagen neben Bettwäsche, einer Decke und etwas warmer Kleidung auch einige Briefe. Keine der Reedereien, bei denen er sich in den vergangenen Monaten beworben hatte, wollte dem Buben aus Niederösterreich eine Ausbildungsstelle als Schiffsjunge zusagen. Nicht ohne ihn in Augenschein genommen zu haben. Also hoffte mein Vater auf die Macht des Faktischen. Er fuhr los, auf gut Glück, mit zehn Mark in der Tasche. Seine ersten mühsam errungenen Dampferfahrten als Kabinenjunge führten ihn nach Dar es Salaam und durch den Panamakanal nach Costa Rica.
Man muss diese Vorgeschichte kennen, um zu verstehen, was meinen Vater antrieb. An der Donau aufgewachsen, auf der er vorbeifahrende Schiffe beobachtete, hatte ihn übermächtiges Fernweh gepackt. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als zur See fahren. Es war ein hartes Ringen, aber schlussendlich gelang es ihm, an der Schiffsjungenschule in Bremen aufgenommen zu werden. Nach der
Ausbildung auf dem alten Holzdampfer Admiral Brommy hielt er endlich das ersehnte Seefahrtsbuch in Händen und segelte in den folgenden drei Jahren auf dem Frachtensegler M.S. Karl zwischen Deutschland, Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland.
Mit Verzögerung erreichte der Krieg meinen Vater und zerschlug seine Lebenspläne – eine Ausbildung als nautischer Decksoffizier, eine mögliche Schiffsübernahme, ein Leben auf See. Nach Kriegsende blieb ihm der Weg aufs Wasser versperrt. Er schuf sich in Österreich eine Existenz auf festem Boden und fütterte sein Fernweh so gut es ging mit dem Erlernen von Fremdsprachen, Literatur und einem Trip nach Spanien auf einer 250er-Puch TF. Das war 1953.
Als sich das Land wirtschaftlich erholte, keimten erste Freizeitangebote am Neusiedler See und brachten meinen Vater auf eine Idee. Ende der 1950er Jahre muss es gewesen sein, als er sich bei einem Bootsverleih in Podersdorf erkundigte, was man denn für eine ausrangierte Jolle verlangen würde. Die geforderten 20.000 Schilling waren jenseitig für ihn. Um das Geld baue ich mir selbst ein Schiff, sagte er sich, kaufte in England den Bauplan für eine YM Senior, ein 16 Fuß langes Kajütboot, und legte los. Als Autodidakt. An seiner Seite sein zukünftiger Schwiegervater, ein gelernter Tischler, der vom Projekt meines Vaters begeistert war. Ab 1963 segelte die Freya erst am Bodensee, später am Neusiedler See. 1960 war meine Schwester zur Welt gekommen, ich folgte 1965 und bald stand fest: Für die Tage und Nächte, die wir zu viert auf dem Wasser verbrachten, reichte der Platz nicht. Und so kam es, dass ich in meiner Kindheit ein Schiff in unserem Garten wachsen sah.
Anfängliche Hürden
1969 verkaufte mein Vater seine Freya, um das nächste Projekt zu finanzieren. Schon während des ersten Bootsbaus hatte er sich in die Pläne einer Eventide vernarrt, eine damals im englischsprachigen Raum populäre Fahrtenyacht, mit der bereits Reisen von Indien nach England unternommen worden waren. Das entsprach ganz seinen Vorstellungen. Das Magazin Yachting Monthly gab Pläne für den Amateurschiffsbau heraus, unter anderem den Eventide-Entwurf des YM-Redakteurs Maurice Griffiths. Der Bootstyp galt als sehr stabil, seetüchtig und geräumig, bot vier Kojen sowie reichlich Stauraum für Nahrungsmittel und Trinkwasser. Die Entscheidung fiel zugunsten der kleineren 24-Fuß-Version. Obwohl als Slup geplant, beabsichtigte mein Vater, das Schiff als Kutter zu takeln, mit Gaffel- und Topsegel, Klüver und Fock mit dafür erforderlichem Bugspriet.
Beinahe wäre das Unternehmen gescheitert, ehe es überhaupt starten konnte. Laut einem ersten Kostenvoranschlag der Wiener Holzgroßhandlung Reder sollte alleine das zugeschnittene Vollholz für das Schiff mindestens 25.000 Schilling kosten, die Spezial-Bootsbauplatten zusätzliche 15.000. Das gab das Budget auf keinen Fall her. Glücklicherweise war Dr. Reder ebenfalls ein bootsbegeisterter Mann. Er schlug meinem Vater vor, doch selbst aus dem Lager die passenden Holzteile auszusuchen, anzureißen und vom Sägemeister privat gegen ein entsprechendes Trinkgeld zuschneiden zu lassen. Das war in einem Tag erledigt und der Preis auf ein Drittel reduziert.
Der Bauplatz für das Schiff lag im Garten unseres Hauses in Mödling. Dort stand an der hinteren Grundstücksgrenze eine Werkstatthütte, die mit einfachen Mitteln seitlich so erweitert wurde, dass im entstandenen Raum der 7,32 m lange und 2,44 m breite Schiffsrumpf Platz fand. Die Freya I war aufrecht gebaut worden, was meinen Vater vor allem bei der Beplankung in Kielnähe in Nöte gebracht hatte, daher sollte die Freya II nun kieloben entstehen. Erst musste er acht Hilfsspanten, die später wieder entfernt werden würden, fertigen, über die später Balkweger, Kimmstringer und Kielschwein gebogen wurden. Sie bildeten zusammen mit Steven, Spiegelrahmen, Bodenspanten und Bodenwrangen das Grundgerüst, auf das in der Folge die Planken geschraubt wurden.
Ab September 1969 arbeitete mein Vater in seiner Bootshütte. In aller Herrgottsfrüh, bevor er ins Büro fuhr. Am Spätnachmittag, wenn er zurückkam. Nach dem Abendessen, nicht selten bis knapp vor Mitternacht. An den Wochenenden und im Urlaub sowieso. Als der Winter früh einsetzte, musste er erst durch den Schnee einen Weg zur Hütte schaufeln und den kleinen Holzofen einheizen, damit Leim, Holz und Werkzeug auf Betriebstemperatur kamen. Zum Trocknen wurden die Bauteile dann ins warme Haus geschleppt.
Und so begriffen auch wir Kinder langsam die Dimension des Unterfangens. Als wir etwa eines Tages das Badezimmer nicht benutzen konnten, weil dort in der Wanne mächtige Holzstücke im warmen Wasser lagen. Den Steven laminierte mein Vater nämlich aus Eichenbrettern, die er eigentlich in einer eigens konstruierten Dampfkammer hatte biegen wollen. Das funktionierte aber nicht. Also probierte er es mit einem Wasserbad, und als auch das nicht klappte, bog er die 15 mm starken Leisten mit Zwingen eben kalt und verleimte sie unmittelbar.
Arbeitsschritt für Arbeitsschritt
Anfang 1970 entdeckte mein Vater einen Fehler in den Bootsplänen. Die Kimm und einer der Spanten verliefen nicht in einer Flucht. Beim Aufmaß von der Grundlinie zur Kimmkrümmung waren zwei Zahlen vertauscht, statt 4 1/8 stand da 8 1/4 Zoll. Ein Irrtum, der offenbar auch beim 860. Plan, jenem für die Freya II, noch nicht behoben worden war. Mein Vater schrieb verärgert einen Brief an die Eventide Owner Association und nahm die Arbeit am Schiff erst Ende April wieder auf.
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Susanne Hofbauer (57) hat die Sehnsucht nach der Ferne von ihrem Vater geerbt. Sie verreist für ihr Leben gerne, egal ob in den Bregenzerwald oder die Kasachische Steppe. Auch die alte Bootswerkstatt im Garten in Mödling hält sie in Betrieb, zimmert dort allerdings nichts Nautisches, sondern restauriert Küchensessel, baut Gartenbetten und hat sich beinahe an einem Baumhaus probiert. Seit 1997 ist sie Redakteurin der Autorevue, 2017 hat sie die Position der Chefredakteurin übernommen. Sie beherrscht immer noch die gängigsten nautischen Knoten und glaubt, nach wie vor eine passable Vorschoterin zu sein.