Zeug zur Legende
The Ocean Race. Boris Herrmann ließ sich von Rückschlägen nicht entmutigen, stellte sich allen Herausforderungen und gewann mit Malizia – Seaexplorer die dritte Etappe, die von Südafrika nach Brasilien führte
Jede gute Geschichte, ob niedergeschrieben, erzählt oder verfilmt, hat einen Protagonisten mit Identifikationspotenzial. In einer wirklich guten Geschichte muss diese Hauptfigur Prüfungen bestehen, Niederlagen hinnehmen und durch dunkle Zeiten gehen, um am Ende umso strahlender im Licht zu stehen und zu triumphieren. Team Malizia hat mit dem Sieg in der dritten Etappe genau so eine Geschichte geschrieben, in der Rolle des strahlenden Helden glänzte Skipper Boris Herrmann. Der sympathische Deutsche begeisterte nicht nur seine Landsleute, die seine Abenteuer gebannt aus der Ferne verfolgten, sondern wurde nach der Ankunft in Brasilien von Fans aus aller Welt beklatscht und bejubelt. Kaum jemand versteht es so gut, die Öffentlichkeit medial zu bespielen, kaum jemand mischt bei seinen Auftritten Fakten, Gedanken und Emotionen so authentisch ab. Ein Aushängeschild, von dem der gesamte Segelsport profitieren kann.
Aber blenden wir zurück nach Kapstadt, wo am 26. Februar der Startschuss zur dritten Etappe fiel. Mit der Rekorddistanz von 12.750 Seemeilen – noch nie in der 50 Jahre langen Geschichte dieses Rennens mussten die Teilnehmer ein längeres Teilstück bewältigen – sowie einer Route, die zu den abgelegensten Plätzen dieses Planeten und um die drei großen, sturmumtosten Kaps führen sollte, galt sie als besonders schwierig. Nicht um- sonst wurde sie als Königsetappe bezeichnet und laut Reglement mit doppelter Punktezahl bedacht. Am Längengrad 143° Ost, also in der Nähe der Westküste Tasmaniens, hatten die Renn-Organisatoren die erste Wertung fixiert, für die Reihung beim Zieleinlauf in Itajaï, Brasilien, waren weitere Punkte vorgesehen.
Holpriger Beginn
Boris Herrmann wurde im Vorfeld zu den Favoriten für diese Monsteretappe gezählt, hatte er seinen IMOCA Malizia – Seaexplorer doch explizit für die im Southern Ocean vorherrschenden Bedingungen optimieren lassen. Doch er schien nach dem Start nicht so recht in die Gänge zu kommen, reihte sich auf Rang vier ein und hatte bereits wenige Tage nach dem Start einen herben Rückschlag zu vermelden. Der gesetzte Code Zero war aufgrund eines defekten Fallenschlosses völlig unvermittelt ins Wasser gefallen, hatte sich um Kiel und Foil gewickelt und musste in einer akrobatischen Blitzaktion freigeschnitten werden. Das kostete Zeit, Nerven und Meilen, zudem war das Segel zerstört und auf dieser Etappe nicht mehr einsatzfähig. Die gravierendste Folge dieses Zwischenfalls entdeckte die Crew aber erst am nächsten Tag: Das Fall hatte im oberen Bereich des Mastes einen fast 30 Zentimeter langen Riss verursacht. Derart geschwächt in den brutalen Bedingungen des Südpolarmeers segeln? Undenkbar. Herrmann entschloss sich zu einer Reparatur auf See, eine ebenso knifflige wie gefährliche Aufgabe in der luftigen Höhe von 28 Metern, die von Co-Skipper Will Harris und Crewmitglied Rosalin Kuiper in einer jeweils mehrstündigen Aktion trotz starken Seegangs bravourös erledigt wurde. Die Malizia war zurück im Spiel.
Aus dem Spiel hatte sich einstweilen das im Zwischenklassement ohnehin an letzter Stelle liegende Team Guyot nehmen müssen. Deren Yacht war im Bereich des Rumpfbodens delaminiert und drohte auseinanderzubrechen, Skip- per Benjamin Dutreux blieb nichts anderes übrig, als den Rückzug anzuordnen und wie auf rohen Eiern zurück nach Kapstadt zu segeln.