Aufschlag in der Wirklichkeit
Einmal mit einem echten Volvo Ocean Racer segeln, davon träumen viele. Was vom Traum überbleibt, wenn man bei herbstlichen Temperaturen 915 Seemeilen gegenan stampft, hat Verena Diethelm herausgefunden
So müssen sich die Gladiatoren im antiken Rom bei ihrem Einzug in die Arena gefühlt haben. Durch ein Spalier aus 50.000 jubelnden Besuchern schreiten die Segler in Alicante zu den acht baugleichen VO65, mit denen sie die nächsten neun Monate im Rahmen des Volvo Ocean Race um die Welt heizen werden. Die Szenerie hat etwas Magisches, Heroisches, Erhabenes an sich. Aufbruchsstimmung macht sich breit, der Hauch des Abenteuers liegt in der Luft und die Unendlichkeit der Ozeane scheint greifbar.
Wir schreiben das Jahr 2017, ich stehe ganz vorne in der Menge, träume von der weiten Welt und hoffe insgeheim, dass mich jemand fragt, ob ich noch schnell aufspringen will. Ohne eine Sekunde Zögern würde ich springen. Und ohne einen Funken Ahnung, was mich erwartet.
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Wie ein Igel kauere ich mich zusammen und drücke mich möglichst weit unter den kleinen Vorsprung des Kajütdachs. Die nächste Welle findet mich trotzdem – schon wieder. Ein Wasserschwall stürzt auf mich herab. Salz brennt in den Augen, Nässe bahnt sich ihren Weg durch vier Schichten Kleidung bis zu meiner Haut. Mit der Nässe kommt unweigerlich die Kälte. Sie kriecht in meine Knochen, durchdringt jede Faser, lässt alles verkrampfen. Sie zermürbt, macht lethargisch und langsam. Sie entzieht mir die Energie wie einer Autobatterie im Winter. Warum genau wollte ich noch mal unbedingt auf einem VO65 segeln?
So groß war die Vorfreude auf den Überstellungstörn mit der VO65 Sisi gewesen, auf der eine Gruppe junger österreichischer Segler an The Ocean Race 2021/22 teilnehmen möchte! Einmal in die Welt dieser legendären Weltumsegelungsregatta schnuppern zu dürfen, schien mir wie das Zusammenfallen von Weihnachten, Geburts- und Namenstag. Gemeinsam mit den Brüdern und Kern-Crewmitgliedern von The Austrian Ocean Race Project, Konstantin und Oliver Kobale, sowie einer bunten Mischung an sieben weiteren Gastseglern mit unterschiedlicher Erfahrung und Motivationslage würde es Anfang November von Malta nach Valencia gehen.
„Der VO65 wurde einzig für den Zweck gebaut, an Rennen über die Ozeane teilzunehmen“ warnt ein kleines Schild über der Galley. Die VO65 sind hochgezüchtete Karbon-Rennschüsseln voller technischer Finessen, aber mit nur rudimentärer Ausstattung unter Deck. Die Schiffe wurden fürs Gleiten auf raumen Kursen optimiert und verfügen vom Bug bis zum Heck über ein komplett flaches Unterwasserschiff. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Kreuzkurs quer übers herbstliche Mittelmeer ...
Orientierungsphase
Zu Eingewöhnung erwarten uns moderate Bedingungen. Wir müssen zwar kreuzen, aber Wind und Welle halten sich zurück und wir stampfen mit dem Groß im ersten Reff und der 87 Quadratmeter großen J3 Richtung Westen. Immer wieder tun sich Windlöcher auf und wir starten zur Unterstützung den Motor, sobald unsere Fahrt unter sechs Knoten fällt – schließlich haben wir einen Zeitplan einzuhalten.
Die ersten Meilen werden genutzt, um sich mit den seglerischen Einrichtungen an Bord der Sisi vertraut zu machen. Eine VO65 verfügt über eine Großschotwinsch zwischen den beiden Steuerständen, zwei Winschen für die Bedienung der Backstagen, zwei Prime-Winschen für die Vorsegel, zwei kleinere Pit-Winschen links und rechts der Niedergänge, sowie eine zentrale größere Pit-Winsch zwischen den Niedergängen. Der Pitman kann auf einer beachtlichen Klaviatur spielen: Insgesamt 22 Fallenstopper befinden sich in seinem Arbeitsbereich.
Angetrieben werden die Drei-Gang-Winschen über bis zu drei Coffee Grinder, die über zwei Gänge und einen Overdrive verfügen.