Grenzerfahrung
Verena Diethelm raste auf einem Extreme 40 über den Parcours vor Istanbul und sprach mit Roman Hagara über eine spannende nächste Saison
„Come up! Come up!“ Die Worte wabern durch eine Nebelwand, dringen nicht zu mir durch. Sinnerfassendes Hören derzeit leider nicht möglich. Mein Gehirn ist vollkommen damit ausgelastet außergewöhnliche Informationen zu verarbeiten. Waschelnass klammere ich mich wie eine Spinne an ein engmaschiges Nylon-Netz, unter dem das Wasser durchrauscht. Oder ist es das Blut in meinem Kopf, das dieses Rauschen verursacht? Der Wind im Helm?
Mein Raum-Zeit-Kontinuum ist gehörig durcheinander gewirbelt. Längst weiß ich nicht mehr, wie lange wir schon über die Rennbahn heizen. Es könnten Stunden genauso gut wie Sekunden sein.
Spätestens seit wir uns der Luvtonne nähern, habe ich einen Tunnelblick. In meinem extrem eingeschränkten Gesichtsfeld rasen riesige Katamarane mit einem Rumpf in lichter Höhe aufeinander zu. Eine Boje sehe ich auch – wir steuern genau auf sie zu. Schreie, irgendwo wird eine Protestfahne gehisst, dann wieder geschrien.
Apropos. „Hey! Come up!“ Endlich schaffen es die Worte durch meinen Reizüberflutungsfilter. Ich ziehe ob meines Aussetzers schuldbewusst meinen Kopf zwischen die Schultern, stolpere fünf Meter das Netz hinauf und lasse mich auf den rot markierten Punkt im Trampolin fallen – nur um sofort wieder auf die andere Seite gescheucht zu werden. Guest Sailor auf einem Extreme40 zu sein ist wahrlich kein Kindergeburtstag.
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Auch wenn der Extreme40 schon ein wenig in die Jahre gekommen ist, verspricht er immer noch jede Menge Spiel, Spaß und Spannung. OC Sport, dem Veranstalter der 2006 ins Leben gerufenen Regattaserie, ist es wie kaum einem anderen gelungen Segel-Action einem breiten Publikum nahe zu bringen. Die Zutaten des Erfolgsrezepts: außergewöhnliche, urbane Locations, kurze, einfache Kurse (meist Up-and-Downs) in Landnähe sowie ein leicht zu durchschauendes Punktesystem.
„Das Kernstück unseres Konzepts sieht vor, dass wir mit Hochgeschwindigkeitskatamaranen auf engstem Raum um die Wette segeln“, bringt es Renndirektor Phil Lawrence auf den Punkt. Spektakuläre Hoppalas, wie etwa die Kollision zwischen Red Bull und Alinghi 2014 in Qingdao oder die Kenterung des SAP Extremes Sailing Teams direkt vor der Zuschauertribüne in Hamburg, sind in diesem Rahmen unausweichlich und tragen zur Popularität des Events bei.
Noch näher dran als die Zuschauer an Land sind nur die Gastsegler, die die Teams während der Rennen begleiten dürfen. Der sechste Mann, meist Gast eines Sponsors oder Journalist, darf an Bord nichts anrühren oder sonst irgendwie ins Renngeschehen eingreifen.