Allroundtalent
Warum der Code 0 mehr als zwei Jahrzehnte nach seiner Erfindung zum beliebten Segel für Fahrtensegler wurde und worauf man beim Kauf achten sollte
Blick zurück. Im Vorfeld des Whitbread 1996/97 kritisierte Paul Cayard die katastrophalen Leichtwindeigenschaften seiner EF Language und führte dies auf das Fehlen einer überlappenden Genua zurück. Robert Hook von North Sails nahm seine Beschwerde ernst und erfand den flach geschnittenen, fliegend gesetzten und rollbaren Code 0. Der Trick dahinter: Das Segel vermisst nicht als Genua, sondern dank genau definierter Mittelbreite als asymmetrischer Spinnaker, womit das Regulativ zur limitierten Anzahl der Am-Wind-Segel umgangen wurde. Prompt gewann Cayard das Whitbread und der Code 0 etablierte sich in der Regattaszene.
Derzeit ist er auf dem besten Weg, zum wichtigsten Segel für Fahrtensegler zu werden, und dieser Siegeszug steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den modernen Riggs. Die meisten Yachten werden heutzutage mit einer Selbstwendefock ausgestattet, einige Hersteller bieten gegen Aufpreis wenigstens eine 105-Prozent-Genua an. In beiden Fällen ist man aber, wie seinerzeit Cayard, bei Leichtwind untermotorisiert. Abhilfe schafft ein Code 0, der am serienmäßigen oder optionalen Bugspriet angeschlagen wird; ein Auge am Ankerbeschlag tut es auch.
Wozu einen Code 0 anschaffen?
Dieses Segel steigert die Leistungsfähigkeit einer Yacht enorm und lässt sich vielfältig einsetzen. Wer damit maximale Höhe am Wind fahren will, kann das in Abhängigkeit von Segelprofil und Yachttyp bei einer Windstärke zwischen drei und maximal acht Knoten tun. Bei diesen Bedingungen erreicht man je nach Schiffslänge eine Geschwindigkeit von drei bis sechs Knoten bzw. sehr bald Rumpfgeschwindigkeit. Das bedeutet einen scheinbaren Wind von rund 14 Knoten und entsprechend große Kräfte, die auf Boot und Rigg wirken. Deshalb muss der Bugspriet, sofern vorhanden, unbedingt via Wasserstag oder auf andere Weise sicher fixiert sein.
Will man bei mehr als acht Knoten Wind weiter Weg nach Luv machen, muss der Code 0 geborgen werden, ist die Richtung nebensächlich, fällt man ab, fährt in die Tiefe und hat bis 25 Knoten mächtig Spaß. Das funktioniert bei höchst unterschiedlichen Booten, egal ob 18 oder 60 Fuß, besonders beeindruckend ist das Erlebnis auf modernen Fahrtenyachten, mit denen sich ganz entspannt eine Geschwindigkeit jenseits der zehn Knoten erzielen lässt – auch mit nur zwei Personen an Bord.
Welche Variante wählen?
Ein für den Regatta-Einsatz optimierter Code 0 ist per Definition ein fliegend gesetztes, rollbares Zusatzsegel mit einer Mittelbreite von 75 Prozent. Dieser Wert ist beispielsweise im Regelwerk des ORC genau vorgegeben und muss – sofern man mit seinem Code 0 an ORC-Regatten teilnehmen will – unbedingt eingehalten werden.
Bei der Konzeption eines Fahrten-Code 0 kann der Segelmacher hingegen durch Veränderung der Mittelbreite auf die speziellen Bedürfnisse seines Kunden eingehen: Eine verringerte Mittelbreite verbessert die Am-Wind-Leistung, bei erhöhter Mittelbreite steigt die Segelleistung auf raumen Kursen. Das klingt einfach, ist im Detail aber komplex, weshalb man sich bei diesem Thema vom Segelmacher seines Vertrauens beraten lassen sollte.
„Wir fragen immer, was der Kunde mit dem Segel primär machen will“, erklärt etwa Andrea Seidl von North Sails. Ist ein Segel gefragt, mit dem man bei Leichtwind richtig kreuzen kann, dann rät sie zu einem Code 55 (Mittelbreite von 55 Prozent). North-Kollege Hans Spitzauer veranschaulicht die Stärke des formelfreien Segels so: „Bei drei Knoten Wind kann man, abhängig vom Bootstyp, mit einem Code 55 sogar höher fahren als mit einer 105-Prozent-Genua, weil sich das Segel durch den besseren Vortrieb den Wind selbst macht.“