Gekonnter Wechselschritt
Sanlorenzo baut nicht nur exquisite Superyachten, sondern engagiert sich auch in der Kunstszene und hat mit Art Director Piero Lissoni einen international gefeierten Designer ins Team geholt
Milliardäre werden nicht nur immer reicher, sondern auch immer jünger, speziell wenn sie aus dem Silicon Valley oder Asien kommen. Deshalb werden auch jene Menschen, die sich eine Superyacht angeschafft haben oder ernsthaft mit einem Kauf liebäugeln, immer jünger. 2040 wird ihr Durchschnittsalter, das prognostiziert eine Studie der Universität Monaco, bei rund 40 Jahren und damit etwa zehn Jahre unter dem derzeitigen Schnitt liegen. Wer diese Kundschaft bedienen möchte, muss deren Geschmack treffen und deren Bedürfnisse kennen. Beachclub mit Platz für Wassersport-Geräte statt Bibliothek mit schweren Clubsesseln, lässig-luftiger Strandhaus-Style statt Teak und Mahagoni, dezentes Understatement statt Prunk und Protz – die Superyacht für den fitten, aktiven Millennial sieht grundlegend anders aus und ist für ein anderes Nutzungsverhalten ausgelegt als der typische Oligarchen-Dampfer oder das Spielzeug des Scheichs.
Sanlorenzo erkannte diesen Paradigmenwechsel früh und setzte ihn als erste Werft dieser Liga konsequent um. Den Anstoß dafür gab der Turiner Massimo Perotti, ein charismatischer Denker und Lenker, der über zwei Jahrzehnte hinweg beim Branchenprimus Azimut-Benetti die Fäden gezogen und das 1958 gegründete Unternehmen Sanlorenzo 2005 übernommen hatte; bis heute fungiert er gemeinsam mit seinen beiden Kindern als Mehrheitseigentümer. Unter seiner Führung erlebte die Werft, die jeweils eine Anlage in La Spezia, Ameglia, Viareggio und Massa betreibt, einen fulminanten Aufschwung. Hatte sie 2004 einen Umsatz von 40 Millionen Euro erwirtschaftet, waren es 2008, vor Ausbruch der Finanzkrise, 198, im vergangenen Jahr 2021 gar 586 Millionen gewesen. Die Pandemie konnte diesen Höhenflug weder stoppen noch verlangsamen, im Gegenteil. Das gestiegene Bedürfnis nach Individualität, Spontaneität und subjektiv empfundener Sicherheit spielte dem Unternehmen sogar in die Hände und bescherte Perotti ungebrochenes Wachstum. Im Bereich der Yacht-Division, die GfK-Modelle zwischen 24 und 38 Meter umfasst, baut man rund 70 Stück pro Jahr, bei den Superyachten (40 bis 72 Meter Länge) aus Aluminium und Stahl sind es maximal acht Stück pro Jahr. Alle selbstredend individuell optimiert und maßgeschneidert für den jeweiligen Eigner, der bei Ausstattung und Materialien freie Wahl hat. Die Hälfte der Auftraggeber kommt aus Europa, wobei Italien und Deutschland die beiden wichtigsten Länder auf dem Alten Kontinent darstellen. Der Rest verteilt sich auf die USA, den Nahen Osten und Asien, aktuell stark aufstrebende Märkte sind Hongkong, Singapur und Indonesien. Eine letzte Zahl noch zur Einordnung: 2022 wurden weltweit 1024 Superyachten in Auftrag gegeben – mehr als jemals zuvor.
Eine Frage des Stils
Zum Erfolg wesentlich beigetragen hat neben der grundlegenden Qualität und den hohen handwerklichen Standards der coole Style der Yachten, denn Sanlorenzo beauftragt seit Jahren internationale Design-Stars mit der Innenausstattung seiner Modelle; so wurde jeweils ein individueller Look kreierten,. Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellt die Zusammenarbeit mit Piero Lissoni dar, die 2018, also zum 60-jährigen Firmenjubiläum, fixiert wurde. Lissoni gilt als lebende Design-Legende sowie genialer Generalist und lässt seine überbordende Kreativität in ganz unterschiedliche Genres fließen. Der 66-jährige Italiener, der in Mailand Architektur studiert hat, entwirft Kaffeetassen, Lampen oder Armaturen ebenso wie Glastüren, Küchen, ganze Villen, Firmensitze oder Hotels. Sein Stil, der für reduzierte Eleganz sowie außergewöhnliche Konturen und Formen steht, hat das Gesicht von Sanlorenzo entscheidend geprägt und das gilt nicht nur für jene Yachten, deren Innenraum er designt hat, etwa die SX88, ein Glas-Palast mit Loft-artiger Ästhetik, oder die SP110 (siehe auch Seite ??). Lissoni ist Art Director für das gesamte Unternehmen und damit für dessen Markenauftritt sowie die Neugestaltung der Werftanlagen und Büros zuständig. Wird am Firmensitz in La Spezia die Taufe einer neuen Yacht zelebriert, verwandelt er die dortige Produktionshalle in eine durchkomponierte Event-Location für ein Edel-Dinner, bei dem er jedes Detail bedacht hat – vom sorgfältig arrangierten, aber wie zufällig verstreut wirkenden Blumenschmuck bis zum Kerzenleuchter, dem vom Flohmarkt stammt.