Der Rat der Alten

Erfahrungsschätze. Karl May ist derzeit nicht besonders hoch im Kurs. Doch auf den „Rat der Alten“ sollten wir trotzdem hören.

Der Rat der Alten

Bevor ich selber zum so genannten alten Eisen zähle – oder hab‘ ich diesen Übergang eh schon längst verpasst? – möchte ich jenen alten Hasen ein großes Dankeschön sagen, die im Laufe der Jahrzehnte auf dem Meer unendlich viele Tipps, Tricks und praktische Handgriffe an die nächste Generation weitergegeben haben.

Neulich im Hafen von Falmouth, Cornwall. Zwei Silberrücken hocken im Ölzeug an der Stegkante und reparieren mit jeder Menge Werkzeug einen Schaden am Bugkorb. Am Anker baumelt ein aufgespannter Regenschirm mit der Spitze nach unten. „Das ist genial“, entfährt es mir spontan aus lauter Bewunderung für das perfekte Auffangnetz. „Nein, das ist purer Selbstschutz“, antwortet John, ein weitgehend zahnloser Ehrenpräsident des Royal Cornwall Yacht Club. „Wir sind beide über achtzig. Unsere Finger zittern wie die Stimmbänder der Maria Callas. Aber diese Schrauben dürfen unter keinen Umständen ins Wasser fallen. Sonst müssen wir das Schiff an das National Maritime Museum of Cornwall verkaufen.“ Selbiges liegt hier praktisch um die Ecke. „Ja, dort haben sie noch solche Schrauben, vielleicht sogar von der HMS Victory.“
John lacht laut auf. Ich verkneife mir hingegen die Frage nach dem eben erwähnten Schiff, um mich nicht als komplettes historisches Nackerpatzerl zu outen, und überlasse die Antwort Professor Wikipedia: „... Flaggschiff von Vizeadmiral Horatio Nelson in der Seeschlacht von Trafalgar 1805 ...“ Danke!

Ob die beiden typischen Engländer denn auf dem Boot immer einen Regenschirm bei sich hätten, will ich wissen. Nach einer schroffen Protestnote, weil er sich nicht „English“, sondern „Cornish“ fühle, also als stolzer Sohn der Grafschaft Cornwall, antwortet Trevor, der etwas Jüngere. „Natürlich, aber sicher nicht wegen des Regens, sondern nur als Auffangnetz."

„Früher haben wir unsere Herzdamen unter dem Schirm trockenen Fußes auf das Schiff geleitet“, ergänzt John. „Aber die sind schon seit vielen Jahren tot.“ Inzwischen hat Trevor das Ende einer sehr langen, dünnen Leine um den Bohraufsatz seines Akkuschraubers gelegt. Er dreht auf, innerhalb einer Sekunde ist die Leine perfekt aufgeschossen. „Auch diesen Trick hat der Grünschnabel von mir“, hält John fest. Trevor legt die vorbildliche Spule in eine Werkzeugkiste, an deren Haltegriffen zwei Mini-Fender festgemacht sind. „Erfahrungswerte“, lacht er, „die sind mit Helium gefüllt, damit sie auch dieser alte Knacker heben kann.“ Ginge es hauptsächlich um den trockenen schwarzen Humor, würde ich nur noch in England segeln. Doch es geht auch um das nur sehr bedingt trockene Wetter.

Es beginnt zu regnen: Trevor kramt zwei Regenpelerinen hervor. „Wozu?“ frage ich. „Ihr steckt ja eh im Ölzeug?“ – „Wir segeln morgen nach Irland“, antwortet Trevor. „Sollen wir uns schon am ersten Tag den Nebel ins Schiff holen, weil wir im nassen Ölzeug unter Deck herumlatschen?“ Jetzt wird John, der britische Gentleman, etwas derber: „Wenn du in Cornwall unter diesen beiden Schichten einen fahren lässt, riechst du ihn erst in Dublin.“

Okay, diesen genialen Trick kennt selbst ein 65-jähriger Grünschnabel wie ich nach ein paar 1000-Meilen-Rennen. Ebenso, dass man aus Klebeband und Gartenschlauch hervorragende Wanten-Schoner basteln kann. Dass man mit zwei verbundenen Tennisbällen die Mittelklampe entschärfen kann, dass Tischtennisbälle ausgezeichnete Strömungsmesser sind. Dass man einer Ankerboje in Gezeitengewässern viel Leine geben muss, damit sie nicht ausreißt, untergeht oder womöglich den Anker aushebt.

„Geh bitte! Das weiß ich doch alles,“ werden jetzt einige gelangweilt feststellen. Ja, eh! Viele von euch kennen wahrscheinlich die meisten dieser Tricks. Zumindest ich habe aber die wenigsten davon selbst entdeckt, sondern die meisten und noch viele andere von alten Haudegen gelernt. Nennen wir es einfach die Evolution des Segelns und sagen wir leise: „Danke!“

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