Sex on the Boat
Tabuthema. Das vollständige Urlaubsvergnügen auf einem Segelschiff muss man sich mitunter hart erkämpfen
Ein Flautentag, Athen noch im Rückspiegel. Dahingedümpel mit zwei Knoten Fahrt. „Hast du noch Sex oder spielst du schon Golf?“, fragt einer im Saronischen Golf. Nicht ganz neu, dieser Schmäh. Wahrheitsgemäß antworte ich: „Wenn sie anstelle der 18 viel zu kleinen Löcher ein einziges, sehr großes machen, dann fang auch ich mit dem Golfspielen an.“
Wie ihr herauslesen könnt, ist Geduld nicht meine Kernkompetenz. Golf daher schon gar nicht. Mich nerven sogar Segeltage, an denen man solche Themen wälzen muss. An denen man also nicht mit sieben Knoten durch die Ägäis galoppiert und dabei „Yippie yah yei, Schweinebacke!“ in den pfeifenden Meltemi brüllt.
„Ich hab’ schon noch Sex“, wirft ein frisch geschiedener Mitsegler ein, „aber nur noch Sex on the Beach!“ Dies bedeutet: Er säuft jetzt lieber. Sex on the Beach ist der Name eines überaus beliebten Cocktails, bestehend aus 4 cl Wodka, 2 cl Pfirsichlikör, 4 cl Orangensaft und 4 cl Preiselbeer-Nektar. [Für die Next Generation: cranberry syrup.] Im Originalrezept vermisse ich den knirschenden Sand zwischen den Zähnen. Selbiger würde den originellen Namen dieses Longdrinks aus der Familie der New England Highballs etwas authentischer machen. Denn Sex am Strand ist realistisch betrachtet eine ganz schön sandige Angelegenheit.
Jetzt wird es still in unserer mittelalterlichen Männer-Crew. Augen blicken wehmütig unter weißen Haaransätzen und/oder glänzenden Glatzen, dort, wo einst wallende Woodstock-Mähnen im heißen Kykladen-Wind tanzten. Mir zum Beispiel kommt der schwarze Vulkansand von Monolithos, der weniger bekannten flachen Küste der Insel Santorini, in den Sinn. Wie egal war uns doch der Sand im Getriebe beim … ach was, keine Details, bitte!
Am Ruder steht einer, der offenbar ähnliche Reminiszenzen hervorgekramt hat: „Sandstrände sind der wahre Grund, warum ich mit dem Segeln angefangen habe“, seufzt er. Genau dieser Möchtegern-Hippie stellte im Sommer 1977 einer mitteldeutschen Blondine die legendäre Frage: „Hast du Feuer?“ Hatte sie nicht, weil splitternackt. Wollte er auch gar nicht, weil Nichtraucher. Es handelte sich ergo um die schlechteste Sex-on-the-Beach-Anbahnung in der Geschichte der Ägäis. Vielleicht ist dies einer der Gründe dafür, dass Santorini 47 Jahre später die Touristen mittels Erdbebenserien abschüttelt. Womöglich auch dafür, dass aus dem feurigen König der Aufreißer ein kühler Steuerberater geworden ist.
„Lieber Sex on the Boat als Sex on the Beach“, nuschelt der gelangweilte Mann an der Genua im Halbschlaf. Vor knapp zwei Stunden hat er die Schot seines Zuständigkeitsbereichs zum letzten Mal angefasst. Und Sex on the Boat hatte er wohl zuletzt vor gut zwanzig Jahren. Andernfalls könnte er sich noch daran erinnern, dass auch diese Form der körperlichen Ertüchtigung Tücken aufweist.
Sand stellt auf dem Boot zwar nur nach einer Strandung ein Problem dar. Doch die Wände sind dünn. Und zwar auf allen Yachten. Privatsphäre muss man sich durch cleveres Timing erkämpfen: Wenn der Großteil der Crew mit dem Dingi Richtung Wirtshaus unterwegs ist, bleiben ein paar Minuten, bis man abgeholt wird. Mitfühlende Schlauchboot-Piloten drehen dann vielleicht auch ein paar lautstarke Runden um den Ankerplatz in der Bucht. Nicht ganz uneigennützig im Hinblick auf den nächsten Abend, an dem der heutige Shuttle-Kapitän selbst mit seiner Partnerin auf die letzte Überfuhr zum Festland wartet …
Die Größe der Koje lässt sowieso nur rudimentäre Basisversionen der Anfänger-Kapitel des Kamasutra zu. Fantasie wird überbewertet; Geschwindigkeit ist das Gebot der Stunde! Hinderlich sind gelegentlich auch die eigenen Kinder. Jene beurteilen jede zärtliche Annäherung zwischen Mama und Papa auf der 10-teiligen Peinlichkeits-Skala elterlichen Fehlverhaltens mit Note 12.
Sex on the Boat ist halt kein Kindergeburtstag.