Queen Lara I

Goldrausch. Sentimentale Zeitreise mit Sir Ben, Andreas, Hans, Hubert, Nico und Niko – bis zu den Goldkindern von Marseille

Queen Lara I

Weymouth, August 2012. Ich sitze im Dorset Café. Queen Victoria’s ­Jubilee Clock, Wahrzeichen des olympischen Hafens der Londoner Spiele, tickt. Er erscheint: Sir Ben, vierfach vergoldeter Sailing King der Olympia-Geschichte, gewährt mir ein Interview. Davor hat Ben Ainsley die 4. Goldene im Finn erobert. Geschlagen wird er später. Nicht von Gegnern, sondern von Queen Elisabeth II zum Ritter.

Nach weiteren Umläufen des Zeigers auf der historischen Standuhr sitze ich im Pressezelt. Auf dem Schreibtisch hockt ein Mädel im Türkensitz. Die Kollegen sind sich nicht einig, ob sie „Kärntnerin“ oder „Steirerin“ schreiben sollen. Die jüngste Seglerin der Olympia-Flotte hat die meisten ihrer 18 Jahre in Kärnten verbracht, kam aber in Feldbach zur Welt.

Sie antwortet diplomatisch, um weder Kärntner noch Steirer vor den Kopf zu stoßen. Der Sir biegt um die Ecke. Ben erkennt mich, deutet – not very British mit nacktem Zeigefinger – auf die junge Dame und sagt mit dem Brustton eines Shakespeare-Darstellers aus Stratford-upon-Avon: „Be humble! You are talking to the future of world sailing!“ [Sei demütig, du sprichst mit der Zukunft der Segelwelt!] Er geht ab. Sie lächelt, klagt kurz über Platz 20 beim Debüt.

Vier Reporter sprinten ohne Erfolgsmeldung zum Bahnhof. Nico Delle-Karth und Niko Resch hatten Bronze hauchdünn verpasst: Die 49er waren die letzte Hoffnung bei medaillenlosen Spielen. Überall war immer irgendwer schneller. Wie die Zeiger der Jubilee Clock: „Habt ihr den Zug verpasst?“ höhnt der Lohnschreiber eines Hamburger Revolverblattes. „Nein, verscheucht hamma ihn“, kontert Standard-Kollege Benno, ein Wiener Wuchtel King.

Als Ainsley 1996 seine erste Medaille (Laser-Silber) gewann, war Lara Vadlau zwei Jahre alt. Hans Spitzauer, der WM-Medaillen in allen Farben besitzt, verpasste die sichere Bronzene, weil er um jeden Preis Silber wollte. Im breiten Schilfgürtel vor Savannah umschiffte er die Warum-Fragen der Reporter: „Hier schaut’s ­ aus wie in Oggau“, grinste er zartbitter. „Nur, dass da drüben nicht Illmitz, sondern die Bermudas liegen.“

Nach einer Höllenfahrt im Presseboot mit geisteskrankem Captain (60 Knoten mitten durchs Vogelparadies; Versenkung eines Kameramannes aus Japan), lernte ich Andreas Hanakamp kennen. Er hatte sich mit der ­Olympia-Legende Hubert Raudaschl im Starboot einen leichten Schlagabtausch geliefert. ­Der Sage nach nicht nur verbal … Ekelhaftes Gerücht des bereits erwähnten, permanent seekranken Hamburger Kotzbrockens. Den Begriff Fake News kannte man noch nicht einmal in Amerika, wo der Serien-Pleitegeier Donald Trump 600 Meilen nördlich die Aktionäre seines Atlantic-City-Desasters gerade um ein paar Milliarden Dollar erleichterte.

Die damals begründete Freundschaft mit Andreas bescherte mir nicht nur eine unvergessliche Atlantik-Querung in einem Rennboot [Anm.: Yachtrevue, Okt. 2014; „Vierzehn Tage und zehn Stunden“] und Medaillen in allen ­Farben bei Hochsee-Staatsmeisterschaften: Von ihm kam die Idee für diese Kolumne, die hier zum 127. Mal in Serie erscheint.

Vom Kitesurfen träumte 1996 keiner. Von Foiling schon gar nicht. Goldkind Lara war wie gesagt zwei Jahre alt, als ihr Papa Ernst mit EM-Titeln im Segeln, Erfolgen im Drachenfliegen, Karate und Vielseitigkeitsreiten unbewusst den Grundstein für Laras vielseitige Karriere legte: Sie nützte den unerwarteten Misserfolg von Rio 2016, um schnell einmal Ärztin zu werden, einen Forschungspreis abzustauben und danach mit Lukas Mähr historisches Gold zu erobern.

Valentin Bontus kam 2001 in meinem Nachbarort Perchtoldsdorf zur Welt. Damals duellierte sich sein Papa vor Podersdorf wohl mit einem meiner besten Freunde. Unter „Lenkdrachen“, die für Valentin heute die Welt bedeuten. Ein Spitzi-Zitat aus dem Schilf hab‘ ich noch: „Ich könnt’ weinen vor Glück!“

Heute geht es mir so. Aber ganz ohne Ironie.

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