Mies beisammen
Wer seekrank ist, verliert den Spaß am Segeln und fällt an Bord als Crewmitglied aus. Umso wichtiger ist es, die gefürchtete Übelkeit mit wirksamen Mitteln und Methoden zu bekämpfen
Seekrankheit ist weder peinlich noch ein Zeichen von Schwäche, kann aber auf dem Wasser zu einem Sicherheitsrisiko werden. Denn ein davon stark betroffener Mensch ist bewegungs-, handlungs- und entscheidungsunfähig. Leiden mehrere Crewmitglieder unter Seekrankheit, lässt sich der Bordbetrieb nicht mehr aufrecht erhalten, was bei entsprechender Wind- und Wettersituation einem Notfall gleichkommt. Es macht daher nicht nur aus persönlicher Sicht, sondern auch in Hinblick auf verantwortungsbewusste Schiffsführung Sinn, sich mit dem Thema zu befassen und auf alle damit zusammenhängenden Aspekte vorbereitet zu sein.
Seekrankheit zählt zu den Kinetosen (= Bewegungskrankheiten). Sie erinnert daran, dass sich der Mensch auf diesem Planeten als Landtier entwickelt hat und daher nicht für die Bewegung in der Luft oder am Wasser geschaffen ist. Befindet er sich auf einer wackeligen, schaukelnden, rollenden Yacht, sind die Sinnesorgane – Auge, Innenohr, Körperrezeptoren – mit Reizen konfrontiert, die scheinbar nicht zusammenpassen und von seinem Gehirn nicht gedeutet werden können. „Mismatch“ nennen die Mediziner dieses Durcheinander an Empfindungen, das eine mehr oder weniger starke Stressreaktion auslöst. In Folge werden eine Reihe von speziellen Hormonen und Botenstoffen ausgeschüttet, darunter in großen Mengen der Neurotransmitter Histamin. Personen, die empfindlich auf Histamin reagieren bzw. dieses nicht rasch abbauen können, werden dadurch in einen unangenehmen Zustand versetzt. Zunächst kommt es zu Müdigkeit, Gesichtsblässe, verminderter Konzentration, vermehrtem Speichelfluss und zunehmender Lethargie, später stellen sich mit Schwindel, Schweißausbrüchen, Koordinationsstörungen und Übelkeit bis zum Erbrechen die typischen Leitsymptome der Seekrankheit ein. Das Erbrechen wird von manchen Forschern als Schutzreflex des Körpers interpretiert, da die genannten Symptome auch auf eine Vergiftung mit so genannten Neurotoxinen hinweisen könnten. In den schlimmsten Fällen sind die Seekranken so verzweifelt, dass sie Suizidgedanken hegen und am liebsten über Bord springen würden, um ihrem Leiden ein Ende zu machen.
Rund 30 % der Menschen gelten als empfindlich gegenüber Histamin und haben damit ein hohes Risiko seekrank zu werden, verbunden ist das unter anderem mit Geschlecht (Frauen erkranken häufiger als Männer), Alter (Junge erkranken häufiger als Ältere), verschiedenen Grunderkrankungen (z.B. Migräne) sowie dem weiblichen Hormonzyklus (höhere Anfälligkeit während der Menstruation). Nur 10 % werden nie seekrank.
Das Mismatch-Konzept sowie der erhöhte Histaminspiegel, der in diversen Studien als entscheidender Auslöser der Seekrankheit identifiziert wurde, liefern den Ansatz sowohl für vorbeugende als auch therapeutische Maßnahmen.
Verhalten im Vorfeld
Wie oben erwähnt, löst Stress vermehrte Histamin-Ausschüttung aus. Es macht also Sinn, ebendiesen generell zu reduzieren, ehe man die Leinen löst. Konkret bedeute das: Auf ausreichend Schlaf achten, nicht per Smartphone oder Tablet den beruflichen E-Mail-Account checken, Zeitdruck und Konfliktsituationen vermeiden sowie an Bord möglichst viel subjektive Sicherheit schaffen.
Histamin wird aber nicht nur vom Körper gebildet, sondern auch über die Nahrung aufgenommen, daher sollten sich Menschen, die zu Seekrankheit neigen, an histaminarme Kost halten – und zwar nicht nur an Bord, sondern idealerweise bereits zwei Wochen vor Törnbeginn. Die Liste der zu meidenden Lebensmittel ist allerdings lange und umfasst viele Waren, die typischerweise in der Pantry gestaut werden. Salami, Rohschinken, Hartkäse mit langer Reifezeit, geräucherte Fleischwaren, Tomaten, Zitrusfrüchte, Nüsse und Schokolade stehen ebenso darauf wie Hefe- und Weizenprodukte, Dosen, Konserven sowie Fertiggerichte. Auch von Alkohol ist grundsätzlich abzuraten, als wahre Histaminbombe gilt Rotwein. Nach lustvollem Genuss klingt das nicht gerade, das geringere Übel als die gefürchtete Übelkeit dürfte eine Histamin-Diät aber allemal sein.
Auch mit umsichtiger Routenplanung kann man sich und seinen Mitseglern das Leben erleichtern.