Windsbraut
Kolumne Jürgen Preusser: Über Segler, die nicht segeln wollen
Als der Hafen von Porto San Giorgio dermaßen versandete, dass an ein Auslaufen seiner Yacht Windsbraut nicht zu denken war, hatte Kurt D. die glücklichste Zeit seines Lebens. Natürlich: Andere mögen den Ritt durch das zweieinhalb Meter breite und ebenso tiefe Nadelöhr gewagt haben, Kurt D. hingegen blieb hart. „Ich bin doch nicht blöd und ruinier‘ mir meine Windsbraut“, trompetete er.
In dieser denkwürdigen Epoche musste Kurt D. seinen Steg-Nachbarn keine anderen Begründungen liefern, warum es ihm bei zu erwartenden 15 Knoten Halbwind auf den 15 dünungsfreien Meilen bis San Benedetto del Tronto, bei Sonnenschein und angenehmen 25 Grad völlig unmöglich war auszulaufen. „Ausfahrt ver-san-det!“ frohlockte er – und das reichte.
Übrigens: Der Betreiber des Hafens, der durch eine klitzekleine Insolvenz den Vorgang des Versandens eingeleitet hatte, hält sich dem Vernehmen nach derzeit in tieferen Gewässern auf und trägt Schuhe aus Beton. Diese Story ist angesichts der geographischen Lage nachvollziehbar. Die totale Segelverweigerung des sich in Vollbesitz eines Segelschiffes befindlichen Kurt D. schreit hingegen nach Aufklärung.
Also, das war so: Barbara Z. war einst die Freundin eines sehr, sehr engen Verwandten des Autors dieser Zeilen; nennen wir ihn X. X versuchte vier Jahre lang mit teilweise genialen Tricks Barbara Z. zum Segeln zu verführen. Er zeigte ihr Fotos, auf denen das Boot völlig gerade stand, und hoffte, dass ihr die 20-Grad-Neigung des Horizonts nicht auffallen würde. Er erzählte ihr von seiner Ärmelkanalüberquerung als Schwimmer und betonte, dass sie dabei locker auf seinen Schultern ans sichere Ufer hätte reiten können. Er füllte sie mit burgenländischer Trockenbeerenauslese ab und stopfte sie in eine Decke gewickelt ins Vorschiff. Er lud drei Freunde an Bord ein, deren einzige Aufgabe es war noch ängstlicher als Barbara Z. zu wirken. Sie hätten den Oscar verdient – aber Barbara Z. wollte trotzdem nicht segeln.
In vier Jahren schaffte es X ganze zwei Mal, mit Barbara Z. den Neusiedler See zu befahren. Beide Male mussten wir … pardon … mussten X und Z von einem Motorboot in den Hafen geschleppt werden, weil sich die anfänglichen zwei Beaufort in einen lupenreinen Nuller verwandelt hatten. Das Schlimmste daran: Zurück in gewohnter Umgebung schwärmte Barbara Z. stets vom großen Abenteuer, von den Wellen, vom Wind, ja sogar von Sturm und Seeungeheuern, während sich X in aller Stille unauffällig betrank.
Am 14. Mai 1999 wollte es X noch einmal wissen, doch als sich bei der Anreise nach Mörbisch die ersten Schilfrohre krümmten, wusste er: Das wird wieder nix. Im Hafen schritt ein Mann mit Badeschlapfen an den Füßen auf die beiden zu. „Super Segeltag“, sagte X, quasi zur Begrüßung. „Bist du wahnsinnig?“ raunte der Schlapfenträger. „Also ich“, fuhr er belehrend fort. „ich ruinier‘ mir mein Boot sücha nücht bei diesem Sturm! Und der wird noch ärger! Des kannst ma glauben!“
Barbara blieb stehen. Der Schlapfenträger hatte ein verträumtes Lächeln in ihr Gesicht gezaubert. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Zwei Tage später kam ihr Anruf. „Du, ich muss dir was sagen …“ – „Ist es wegen dem Schlapfenträger?“ fragte X. – „Ja, nein, ja … du musst verstehen …“
X verstand.
Inzwischen ist Barbara Z. seit elf Jahren verheiratet und trägt selbst Badeschlapfen. Das Ehepaar hat Porto San Giorgio gegenüber dem Burgenland den Vorzug gegeben und macht dort zwei Mal im Jahr drei Wochen lang Urlaub. Die Yacht Windsbraut dient als Hotelzimmer, ausgelaufen ist sie zum letzten Mal – na ja, grob geschätzt, vor elfeinhalb Jahren. Und X ist dem Schlapfen-Kurtl ein Leben lang in tiefer Dankbarkeit verbunden.