Abhängen aber wie?
„Heute häng' ich ab, heut' cool ich down, heut' werd' ich nicht weiser, heute werd' ich braun. Ich dreh' mich zur Sonne, blinzel in die Runde, ich rolle mich ein, ich bin wie junge Hunde.“ Dieser Refrain von Reinhard Meys ‚Aber heute‘* ging mir beim jüngsten Sprinto-Cup durch den Kopf. Nein, nicht auf der Regattabahn, sondern beim Warten an Land. Ich liebe das ja: Rechtzeitig eintreffen, Meldegeld abdrücken, Boot fertig machen, Steuermannsbesprechung absolvieren, alle versammelt, die Sonne scheint, der Wind fehlt und eine vernünftige Wettfahrtleitung setzt AP an Land und gibt uns Segler/innen bis auf weiteres frei. Damit ist die Sinnkrise da. Unterschiedliche Typen gehen den horror vacui ja spezifisch an.
Barocke Genussmenschen sehen die große Chance: Essen, plaudern, trinken nicht erst beim Segleressen am Abend, sondern schon bevor es eigentlich losgeht – Herz, was willst du mehr? Folgerichtig wird einmal ein Bier bestellt, bevor man sich nach Gleichgesinnten umsieht. Sind die gefunden, wird in bester Stehparty-Manier über Gott (selten) und die Welt (häufig) gesprochen.
Die Familienmenschen widmen die Zeit ihren meist kleinen Kinder. Der Partner (meist: die Partnerin) kann sich anderen Dingen zuwenden, die Kleinen werden – oft in der Hoffnung auf frühkindliche Prägung – mit Schot, Pinne und Trapez in Berührung gebracht, manchmal auch nur mit Wasser.
Die Geier nutzen den Freiraum zum Vergleich. Ausgerüstet mit Maßband, Wantenspannungsmesser und einem scharfen Auge werden Mastfallvergleiche angestellt, Fockholepunkte analysiert und Ausrüstungsvarianten inspiziert. Zeichnen sich in der Regel durch hohe Körperspannung, schmal gepresste Lippen und im Lauf der Zeit zunehmend angespannte Gesichtszüge mit einem Hang zur Resignation aus. Groupies als Subspezies der Geier versuchen, im Gespräch mit den Stars der Klasse auffällig unauffällig zu Infos zu kommen.
Die Intellektuellen ziehen sich meist in ein stilles Eckerl zurück. Zücken je nach Ausrichtung Camus, Sartre oder Horkheimer (die 50+ Generation) bzw. Butler, Derrida oder Žižek bei den jüngeren, gelegentlich auch ein Sachbuch und tauchen in die Welt der Buchstaben ab. Nicken gelegentlich ein, geben dem Ganzen aber einen seriösen Touch.
Die freizeitorientierten Schonhalter hinterlassen ihre Handynummer bei der Wettfahrtleitung und einem Mitsegler mit der Bitte um Nachricht, falls Auslaufen angesagt ist. Danach gehen sie auf lokale Sightseeing-Tour, fahren in ihr nahegelegenes Feriendomizil oder besuchen die örtliche Vinothek, um den Weinbestand aufzubessern. Sind häufig Kandidaten für verspäteten Start, wenn es dann losgeht.
Wäre die Yachtrevue nicht ein seriöses Medium, wäre an dieser Stelle ein kleiner Test (‚Welcher Typ sind Sie?‘). So bleibt es bei der Anregung, doch auch mal den bevorzugten Typ zu wechseln …
* Aus dem Album „Rüm Hart“ von Reinhard Mey, 2002 bei EMI