Gramp
Gramp, als Kurzversion von Grandpa, ist ein 81-jähriger Mann, der eines Tages beschließt, nichts mehr zu essen und zu trinken. Der gleichnamige Bildband von Dan Jury schildert die Erlebnisse in der Familie während der letzten drei Wochen seines Lebens, in der Gramp zuhause gepflegt und beim Sterben begleitet wird. Der Band, gelesen während meiner Dissertation vor vielen Jahren, tauchte in meiner Erinnerung auf, als es um das Schicksal der Manta 19 meines kürzlich verstorbenen Vaters ging. Für Uneingeweihte: Das Boot wird nicht mehr produziert, hatte bei Schöchl in den 70er-Jahren Saison und gilt als kleine Schwester der ähnlich gelagerten Sunbeam 22. Kerncharakteristik: Handlich, leicht alleine zu segeln, sagenhaft ausgewogen am Ruder – im Wesentlichen also fürs Spazierengehen am Wasser gebaut. So weit, so normal.
Das Ungewöhnliche: Sie fängt an mich zu interessieren. Über lange Jahre war sportliches Segeln und damit „Höher und schneller“ mein Motto. Klar gab es auch hin und wieder Genusssegeln, aber stets lief das eingebaute Programm im Hinterkopf mit, das Windeinfallswinkel, Geschwindigkeit, relative Höhe zu anderen Booten und mögliche Dreher zumindest am Rande registrierte. Und jetzt das. Verliere ich den kompetitiven Biss? Bin ich so ausgelaugt vom Hamsterrad des Alltags, dass ich mir das „rat race“ nicht auch noch in meiner Freizeit antun will? Oder ist es umgekehrt die Weisheit des zunehmenden Alters, die mir neue Erlebens- und Ausdrucksformen ermöglicht?
Und, nächste Ebene, handelt es sich überhaupt um ein Entweder-oder-Problem? Auf der einen Seite bewundere ich Peter Czajka, Urgestein im Burgenländischen Yacht Club und seit früher Jugend bei mir am Monitor, den orangen Elvström-Finn noch präsent, der im letzten Jahr seine ernsthafte Regattatätigkeit am Neusiedler See mit den Worten „50 Jahre Regattasegeln sind genug“ eindrucksvoll abschloss. Auf der anderen Seite beobachte ich aus der Ferne mit ausgeprägter Faszination Flossi Felsecker, der mit 70 um den EM-Titel in der Shark mitfightet oder eine Elan 340 im Renntempo über den Kurs steuert. Wohin gehe ich? Werde ich nimmermüder Regatteur mit keineswegs zahnlosem Biss, der Dekade um Dekade Dreher und Windstriche sucht? Oder mache ich den klaren Schnitt und beschließe wie Gramp bewusst und endgültig Abschied vom Wettkampfsport zu nehmen? Die Manta wird mir helfen Klarheit zu gewinnen. Spazierengehen am Wasser, weit ist es gekommen, Rumbrodeln statt ernsthaftem Segeln. Aber andererseits auch Fortschritt, weil mir neue Formen des Seins am Wasser möglich sind. Eigentlich spannend.
Wer also in der kommenden Saison auf dem Neusiedler See einer Manta AUT 66 mit dunkelblauem Rumpf begegnet – bitte nicht stören. Steuermann ist auf der Suche nach zusätzlichen Puzzlesteinchen seiner Identität …