Segeln pur?

Bei einer Tasse Tee sowie ein paar Linzeraugen genieße ich einen nachweihnachtlichen Abend. Plötzlich durchbricht ein seltsames Piepen, Surren und Pfeifen leise, aber doch deutlich vernehmbar die Stille. Dann rhythmisches Klopfen an der Terrassentür: kurz – lang-kurz – lang-lang-kurz – kurz – kurz-lang-kurz-kurz. Ich muss lächeln: E-N-G-E-L im Morsecode. Ohne zu schauen mache ich die Türe auf – und pralle entsetzt zurück. Das ist ja gar nicht mein gefiederter Freund, das Weihnachtsengerl, sondern ein Furcht erregender StarWars-Abkömmling! Elektronisches Gerät, wohin das Auge blickt, futuristisch gestylte Schutzkleidung und eine dunkle Sonnenbrille. Schon will ich entsetzt die Türe zuknallen, als eine vertraute Stimme ertönt. Tatsächlich schält sich nach und nach der Gefiederte aus seiner High-tech-Hülle, legt seine Gerätschaften ab, schüttelt Lockenhaar und Flügel aus und setzt sich zu mir.
Nach ein paar Minuten kann ich meine Neugier nicht mehr zähmen. Ich deute wortlos auf das Equipment. „Das, lieber Freund“, so die Antwort, „ist auch deine Zukunft auf See!“ Auf meinen ratlosen Blick hin erläutert mir das Engerl, dass sich die Himmlischen auf ihren Reisen schon lange nicht mehr auf Führung durch den Heiligen Geist verlassen. „Unsere Erzengel setzen ganz auf die neueste Technologie“, doziert das Engerl und erklärt mir dann lang und breit, was es alles mit sich führt. Nach einer Weile kann ich nicht mehr richtig folgen und meine Gedanken schweifen ab. Vielleicht hat das Engerl ja Recht, denke ich. Was hat der Fahrtensegler nicht schon alles an Bord: GPS, Farbplotter, diverse weitere Bordinstrumente, eigener Laptop mit Navigationsprogrammen, die alle Stücke spielen, GPS-Maus, integriertes Navtex und Logbuch … Und was erst die Zukunft bereit hält: intelligente Textilien, die Infos über Kurs, Untiefen oder Winddrehungen direkt auf die Sonnenbrille liefern, Joystick-Yachten, die komplett vom Zentralcockpit aus zu steuern sind. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als das Engerl ruckartig aufsteht: „Tja, mein Lieber, so schaut’s aus. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten, auch auf See.“ Das Engerl zieht seine Montur über und verschwindet mit Wünschen für ein gesegnetes Jahr 2007 an die p.t. Leserschaft und unter Mitnahme aller Gerätschaften.
Ich bleibe nachdenklich sitzen. Ist das die Zukunft? Wird „Segeln pur“ zum Anachronismus? Sehen wir bald vor lauter Monitoren das Wasser nicht mehr? Oder werden wir beim Segeln die Technik als Hilfe nützen, ohne das Wesentliche zu verlieren? Aber was ist das Wesentliche? Kommt es vielleicht zur Gegenbewegung? Ohne wirkliche Antworten sinniere ich weiter, übermittle aber jedenfalls die Engelsbotschaft und wünsche Ihnen – mit oder ohne Technik – immer die obligate Handbreit Wasser unter dem Kiel.

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