Und ewig lockt

Seit frühesten Tagen schaue ich auf Rundungen. Nein, nicht so, wie jetzt ein Gutteil der männlichen Leserschaft vielleicht assoziiert – Rundungen im Segel. Mein Vater hatte ein paar einfache Faustregeln: Der Wind hat immer recht; das Boot macht alles, wenn du ihm Zeit lässt; ein Segel auf der Kreuz ohne ganz leichte Ansätze zum Gegenbauch (Rundung!) ist nicht optimal. Ich habe heute noch das Bild im Kopf: 1965 oder so, alter Opti, kaum Wind, ich mit meinen 7 Jahren gierig mittschiffs nach vorne gebeugt, den Blick unverwandt auf das Vorliek geheftet, um die entstehende Rundung (!) nicht zu verpassen.
Doch dann kamt ihr: Telltales, Tell-Tails, Windfäden, Trimmfäden – ihr hörtet auf verschiedene Namen. Euer Erscheinen hat mein Leben verändert. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ihr wart fremd, exotisch, neu. Und wild: Unablässig schlängelt, windet, tänzelt, zappelt, wellt, bauscht, zuckt, wickelt, spiralt ihr, vorausgesetzt, Äolus ist uns beiden gewogen. Ja, selbst ein Rundungsfixierter wie ich ist euch Hals über Kopf verfallen. Stundenlang habe ich euch im Blick, immer in der Hoffnung, aus der kleinsten, fast nur zu erahnenden Differenz rauszulesen, ob noch was geht. Fast beschämt muss ich gestehen: Während meiner besten Zeit wart ihr nur zweite Wahl, da für die Grobeinstellung – die entscheidenden letzten Prozent kamen über den Hosenboden, das Gefühl, den holistischen Eindruck. Aber jetzt, abgestumpft wie ich bin, seid ihr mein Ein und Alles.
Alles in allem war ich monogam: Von Mutterns gnadenlos requiriertem Wollknäuel zehre ich noch heute. Ihr seid mir in der konservativen Variante am liebsten: flauschig, dunkles Blau (von wegen Durchschimmern auf der Leeseite und so, wir verstehen uns). Der freakige Teil eurer Familie ist chancenlos: rot/grün, Spinnakertuch, Kassettenbänder – wääh. Auf eure Cousins, die Wantfäden, habe ich auch nie was gegeben (hatte aber halt Zeit meines Seglerlebens auch wenig Wanten, muss ich sagen). Zu Beginn noch, Windwiderstand war alles, wurdet ihr mit der Nadel durch das Segel gestochen. Dann Knoten beidseits, Knoten am Ende, damit ihr weder durchrutscht noch ausfranst. Jetzt werdet ihr – ich weiß, ihr verzeiht mir – gnadenlos niedergepickt, aber wenigstens mit einem leichten Hang nach oben, damit ihr leichter hochkommt.
Den meisten Spaß habe ich, wenn ich die Yachten mit den 5-, 6- oder gar 7-stelligen Einkaufspreisen sehe: Alles dirigierst du auf der Kreuz, du mit deinem kleinen Preis. Das wäre das Programm: Der Markt hat doch nicht recht, die Kleinen und Schwachen übernehmen das Kommando. Wird’s wohl ‚in Echt‘ nicht spielen, aber wenigstens beim Segeln ist die Welt schon in Ordnung …

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