Weg mit vielen Windungen
Vor 20 Jahren überraschte Christoph Sieber die Welt mit einer olympischen Goldmedaille, heute verantwortet er als Sportdirektor eine zentrale Position im Österreichischen Olympischen Comité. Was dazwischen geschah, zeichnet Judith Duller-Mayrhofer nach
Mit weit ausgebreiteten Armen steht er auf seinem Board, als wolle er die Welt umarmen, verharrt einen langen Moment reglos in dieser Position und springt dann kopfüber ins gleißende Wasser. Die Szene, die sich unmittelbar nach dem Zieldurchgang der alles entscheidenden letzten Wettfahrt der olympischen Surfbewerbe 2000 in der Bucht von Sydney abgespielt hat, ist im kollektiven Gedächtnis der heimischen Sportfans fest verankert. Sie steht für die erste (und immer noch einzige) Goldmedaille im Windsurfen, die ein Österreicher errungen hat. Und für einen Ausnahmeathleten, der aus den Tiefen einer Krise wie Phönix aus der Asche zum Olympiasieger aufgestiegen war – Christoph Sieber. „Dass ich trotz internationaler Qualifikation nicht zu den Spielen 1996 in Atlanta fahren durfte, war die größte Enttäuschung meines Lebens“, erinnert sich der heute 49-Jährige, „aber der Groll, der in mir gewütet hat, fungierte auch als Kickstarter für meine nächste Olympiakampagne. Ich hatte den unbedingten Willen, es mir selbst und allen anderen zu zeigen und war bereit, mein ganzes Leben kompromisslos in den Dienst dieses Ziels zu stellen.“ Das bedeute vor allem, das Training an die geänderten körperlichen Anforderungen anzupassen: 1993 war das Pumpen erlaubt worden und das olympische Windsurfen damit zu einer Disziplin mit hoher Kraft-Ausdauer-Komponente mutiert. „Ich bin wochenlang in Obertauern auf 2.000 Meter sechs Stunden auf dem Ergometer gesessen“, schildert Sieber die strapaziöse Vorbereitung, „dagegen war das Wassertraining der reinste Urlaub. Bei Starkwind war ich immer top, aber dadurch wurde ich bei allen Bedingungen konkurrenzfähig.“ In Sydney erntete er die Früchte seiner Arbeit: Physische und mentale Vorbereitung sowie das monatelange Training vor Ort fügten sich zusammen und er schrieb mit Gold Geschichte.
Seither sind zwanzig Jahre vergangen, die Sieber mit seiner eigenen Geschichte gefüllt hat. „Ich hatte vor den Spielen keinerlei Pläne für das Danach“, denkt er zurück, „hab alles nur auf diesen Moment ausgerichtet. Das war Teil meiner Herangehensweise.“ Zunächst wurde er ohnehin vom Strudel der allgemeinen postolympischen Euphorie mitgerissen: „Jeden Tag auf drei verschiedenen Bühnen, Ehrungen, Auftritte, Vorträge. Ich habe mitgenommen, was ging, auch versucht, meinen Erfolg zu Geld zu machen. Aber nach sechs Monaten hat es mir sowas von gereicht und ich musste die Handbremse ziehen. Das war nicht mein Leben.“
Lehr- und Wanderjahre
Sein Leben war das Wasser. Also ging Sieber auf Reisen. Zwei ausgedehnte Winter verbrachte er auf Hawaii, lernte dort die damals neue Sportart Kiten kennen und lieben, drehte in Indien einen Wassersport-Film. Er erstand aber auch eine auf Pfählen stehende Schilfhütte am Neusiedler See und verliebte sich in Österreich in jene Frau, die bis heute an seiner Seite ist. 2004 kam der gemeinsame Sohn Sky zur Welt – Schluss mit Hawaii und Indien …
Nicht Schluss war mit dem Wettkampfsport. „Da war noch so viel Ehrgeiz und Feuer in mir“, beschreibt es Sieber, „mir hat das Regattasegeln, dieses Schach am Wasser, total gefehlt. Das wollte ich wieder erleben.“ Allerdings nicht mehr auf einem Surfbrett, sondern auf einem Boot: Gemeinsam mit Clemens Kruse startete Sieber 2004 eine Olympiakampagne im 49er. Was er heute als mutigen Schritt bezeichnet, empfanden damals nicht wenige als wahnwitzige Idee – schließlich hatte Sieber noch nie in seinem Leben ein Boot gesteuert. „Ich dachte mir, das wird schon zu lernen sein“, zuckt er mit den Achseln, „aber der Einstieg war wirklich hart. Ich habe ein halbes Jahr lang im wortwörtlichen Sinn täglich geblutet.“