Das Glück der kleinen Dinge
Ohne es geplant zu haben, stromerten die Seenomaden wochenlang die kanadische Westküste entlang durch British Columbia und ließen sich durch einen kurzen, aber intensiven Sommer treiben
Perfekte Work-Sail-Balance in Kanada. Zwei Monate Werftaufenthalt, zwei Monate Segeln. Das Refit unserer mittlerweile 34 Jahre alten Nomad konfrontierte uns mit vielen Herausforderungen, denn jede aufgerissene Wunde förderte neue Blessuren zutage. Schrauben waren zu lang, Schläuche zu kurz oder zu dünn, bestellte Farbe ließ auf sich warten. Eine große Hürde stellte die abgeschiedene Lage der Werft auf der Insel Texada dar. Das nächste nautische Zubehörgeschäft befindet sich am Festland und ist nur per Auto und Fähre zu erreichen. Kälte und anhaltende Regenfälle brachten die notwendigen Wartungsarbeiten ordentlich ins Stocken. Deshalb beschäftigten wir uns zunächst mit Innenarbeiten wie dem Tauschen des Wellenlagers. Soll heißen: Motor komplett abklemmen – Motor heben – Welle nach innen in die Kajüte ziehen – Wellenlager und Wellendichtung wechseln – Maschine fluchten und das Wirrwarr an Kabeln und Schläuchen wieder anschließen. Halleluja! Nachdem wir dieses Projekt erfolgreich beendet hatten, war immer noch Mistwetter und der Sommer gefühlt so weit weg wie der Mars. Also nächsten Punkt auf der langen To-do-Liste angehen: Unterwasserschiff. Gibt es eine schlimmere Tortur, als mit einem Mini-Abzieher altes Antifouling über Kopf abzuschaben? Dagegen war das Rollen von fünf Lagen Primer und neuer Antifoulingfarbe ein Klacks.
Für manche Probleme ließen sich keine schnellen Lösungen finden. Wir wollten etwa das Schwert ausbauen und sandstrahlen, doch die Werft konnte unsere Yacht nicht hoch genug aufbocken. So wurde die Idee geboren, Nomad mit dem Sling-Lift möglichst weit anzuheben. Das Ungetüm rollte heran und nahm Nomad in die Zwickmühle. Zwei breite Gurte wurden unter ihren Bauch gespannt – und schon ruckelte und baumelte sie in der Luft. Drei Tag verharrte unser Boot in diesem Schwebezustand, während wir das malträtierte Schwert auf Vordermann brachten. Langwierig war auch das Zusammenstückeln von Sperrholzresten für den neuen Waschtisch. Und groß die Enttäuschung, als die gewünschte Mischbatterie nicht lieferbar war, und wir einen Wasserhahn im Retrostil einbauen mussten. Lauter Bewährungsproben, die uns in Erinnerung riefen, dass Blauwassersegeln nicht Dolce Vita bedeutet. Aber irgendwann war irgendwie alles überstanden, und wir konnten aus unserer Werkstatt wieder ein seetüchtiges Boot machen. Wenn ich eines gelernt habe in all den Jahren auf dem Wasser: Zeiten ändern sich, im positiven wie negativen Sinn. Und im Rückblick wird jede Katastrophe zur unterhaltsamen Anekdote.
Zurück auf dem Wasser
Schließlich fand auch der Sommer mit all seinen Freuden nach British Columbia: blitzblauer Himmel, samtene Tage, späte Sonnenuntergänge, verführerisch blinkende Sterne. Dazu Wespen- und Gelsenstiche, Walflossen, Robben und rote Seesterne. Ein Sommer, der zu wissen schien, dass ihm nur wenig Zeit blieb und sich deshalb verausgabte. Von Nomads Winterlager segelten wir zuerst nach Süden in die lässige Metropole Vancouver. Die Traumlage zwischen Ozean und Bergen sorgt für ein spektakuläres Panorama. Im weltweiten Ranking der lebenswertesten Städte landet die Westküstenschönheit regelmäßig ganz weit vorn. Bei Superlativen muss man stets mit entsprechenden Nebeneffekten rechnen. Vancouver zählt zum teuersten Pflaster des Landes, vor allem die Wohnungspreise erreichten in den letzten Jahren astronomische Höhen. Ein paar Tage waren wir zu Gast in der Spruce Harbour Marina. Sie wird von einer Kooperative geführt, die es Yachties erlaubt, ständig auf ihrem Schiff zu leben. Eine Seltenheit, denn die meisten Marinas an Kanadas Westküste wollen keine „Liveaboards“.
Von der Großstadt ging es in die Wildnis. Wir fuhren einen Kurs mit vielen Ecken und Schleifen, durch tidengeplagte Meerengen, zu vollen und einsamen Buchten, quirligen Fischerhäfen, verlassenen Marinas.