Badewanne und Kinderbecken

Alternative Fakten. Geben Sie es ruhig zu: Sie haben auch nicht gewusst, dass die Erde gar nicht so ist, wie alle behaupten. Stimmt‘s?

Badewanne und Kinderbecken

Zuerst muss ich etwas klarstellen, das mir seit einem feindseligen Leserbrief keine Ruh‘ lässt: Ich bin weder Schwurbler noch Wurmmitteltrinker, bin geimpft, halte Putin für keinen cleveren Schachspieler, versuche umweltbewusst zu leben, bewundere Wissenschaftler, bin deshalb von der Politik oft enttäuscht, mag keine Rassisten, glaube fest an die Demokratie (allerdings nicht immer auf dem Schiff). Und ich bin überzeugt, dass die Erde keine Scheibe ist! Ich kann es beweisen: Die Erde besteht aus zwei Becken!

Ha! Damit habt ihr nicht gerechnet, gell! Das erste Becken ist die Adria, das zweite die Ostsee. Aus diesen beiden Segelwelten besteht mein schöner Planet. So schaut’s aus! Woher ich das weiß? Nicht aus dem Internetz, sondern aus erster Hand! Der Schwager einer Bekannten meiner Schwester kennt einen polnischen Staplerfahrer, dessen Frisör einen Neffen hat, der bei der Küstenwache von Danzig beim Reinigungsdienst ist. Dessen Vorarbeiter Zbigni sagt: „Was du willst mit die Adria? Dos is Badewanne von Eiropa!“ (Übrigens: Dass ich gar keine Schwester hab‘, tut nichts zur Sache. Hier zählen nur Fakten, Fakten, Fakten!)

„De Ostsee?“, raunt Fredl, genannt der Unverwüstliche, „de Ostsee is a Kinderplanschbecken.“ Dann quetscht der 150-Kilo-Oger seine Marlboro aus dem Mundwinkel und verstreut die Asche über seinem Ćevapčići-Silo. Zbigni und Fredl sind zwei Skipper, die einander nicht kennen, aber gleichzeitig im Stammrevier des jeweils anderen einen Törn fahren. Zwei meiner Freunde werden zufällig Augen- und Ohrenzeugen der Parallelhandlung:

Zwölf Minuten nach dem Auslaufen aus der Marina Betina, Insel Murter, packt die Crew ihre Reisetaschen, weil Zbignis Charterboot auf dem beliebten Felsen unweit der Mole thront. An den drei arbeitsreichen Hafentagen zuvor haben die fünf Polen gelernt, dass die Bora ein Wind ist, der das Meer in eine fliegende weiße Wüste verwandelt. Dass dieses Lüfterl eingerollte Biminis aus der Verankerung reißt. Dass Blitze im Sekundentakt eine kroatische Unwetter-Nacht zum Tag machen. Dass Fender gegen die rollende Jugo-Welle so machtlos sind wie Ping-Pong-Bälle. Auch die erschreckend nahe Windhose und der waagrechte Dauerregen kommen für Zbignis Ostsee-Recken recht unverhofft in der Badewanne von Eiropa. Darum halten sie den kümmerlichen Felsen wohl für eine Gummi-Ente.

Zbigni wird im Charterbüro blassgrün und bissl einsilbig: „Blede remisch-katholische Anlegen, blede Muring, blede Bura, blede Jugo, blede Adria, wo ist Sandbank aus Stein.“

Apropos Sandbank: Auch Fredl hockt schon am Dienstag der Törn-Woche im Charterbüro in Wismar an der Ostsee. Zu Beginn hielten sich die fünf Adria-Haudegen ja penibel an die Baggerrinne entlang der Insel Walfisch. Irgendwo da draußen beim Seichtgebiet Hannibal kippen unerwartet Strömung und Stimmung, als dichter Nebel wie eine Lawine in den Tauern einfällt. Fredls Navi röhrt auf: „Hearst, Oida, wo samma?“ In dem Augenblick stellt die Maschine der Frauke IV ihrerseits das Röhren ein. Die 44-er frisst sich tief in eine Sandbank im Naturgebiet Weiße Wiek.

Wie Zbigni 650 Meilen südlich, füllt nun auch der Unverwüstliche ein Formular nach dem anderen aus, bis die Kreditkarten seiner Crew schmelzen. Wozu Versicherung in einem Kinderplanschbecken? „Depperte Sandbank, depperter Nebel, depperte Strömung, deppertes Nichtraucher-Büro, deppertes Ostsee-Flachland, wo man sich an nix orientieren kann.“ Die Office-Dame zuckt mit den Schultern und rechnet ungerührt weiter. Dass jetzt noch die depperte Küstenwache für die depperte Schlepphilfe Geld will und die Strafe für den marginalen Verstoß gegen die depperten Schutzgebiet-Regeln fordert, hält Fredl für saudeppert.

Die Mär vom Kinderplanschbecken und von der Badewanne von Eiropa würde übrigens nicht einmal meine depperte Schwester glauben, wenn ich eine hätte. Dass es sich um zwei verschiedene Welten handelt, stimmt aber jedenfalls.

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