Ich bin dann mal weg
Die Segelrebellen organisieren Hochseetörns für junge Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Der Niederösterreicher Ingo Blaha nahm daran teil und fand einen neuen Zugang zu Gegenwart und Zukunft
Eine Schwellung am Hals, nicht schmerzhaft, aber lästig. Zyste, sagte der Arzt und lächelte. Kleiner Eingriff und alles ist in Ordnung.
Gar nichts war in Ordnung. Die vermeintliche Zyste am Hals von Ingo Blaha entpuppte sich als bösartiger Tumor; Non Hodgkin Syndrom stand in der Krankenakte.
Krebs.
Ingo war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Er musste sich einer langwierigen Chemotherapie und mehreren Operationen unterziehen, ging durch die Hölle. Aber er überlebte. Nach einem achtwöchigen Aufenthalt in einer speziellen Reha-Klinik wurde er als geheilt entlassen und kehrte in sein Elternhaus in Königstetten zurück. Geheilt ja, gesund nein. Die Spätfolgen der aggressiven Therapie machten Ingo zu schaffen. Immunschwäche, Nervenschäden, dazu das so genannte Chemobrain, das sich in schlechter Merkfähigkeit, Konzentrationsschwäche, verlangsamter Denkleistung oder Schlafstörungen äußerte. Trotzdem begann der Niederösterreicher, der inzwischen maturiert hatte, ein Studium. „Du willst nur eines, weitermachen wie vor deiner Erkrankung, zur Normalität zurückkehren, dein altes Leben zurückhaben“, erinnert er sich.
Aber das alte Leben schien sich gemeinsam mit den Krebszellen aufgelöst zu haben. Nichts war, wie es sein sollte. In der Familie umwaberte ihn ein Nebel der permanenten Besorgnis, Freunde wussten nicht, wie sie mit ihm und seinen Befindlichkeiten umgehen sollten. Ingo konnte seinen Platz im mühsam erkämpften Leben nicht finden. Im Mai 2015 befestigte eine Krankenschwester in Krems eine Infusion zur Stärkung des Immunsystems an Ingos Armbeuge. Sie kannte den Burschen schon länger, machte sich Sorgen um seinen psychischen Zustand. Im Internet war sie auf die Seite der Segelrebellen gestoßen, eine Initiative aus Deutschland, die Törns für junge Menschen mit Krebs organisiert. „Wär das nicht etwas für dich?“, fragte sie. Ingo, der nie zuvor mit dem Segeln zu tun hatte, war an einem Punkt angelangt, an dem er nach jedem Strohhalm griff. Er telefonierte mit Gründer Marc Naumann und saß einen Monat später auf einem 22 Meter langen uralten Holzschoner. Gemeinsam mit fünf anderen ehemaligen Erkrankten, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, segelte er damit durch die griechische Inselwelt. Wieder daheim, wusste er, was zu tun war. Er zog aus dem Elternhaus in eine Studenten-WG und brachte sich aktiv bei den Segelrebellen ein. Ingo fungierte als Österreich-Korrespondent, betreute in Friedrichshafen und Düsseldorf den Messestand, nahm auf modernen Yachten an zahlreichen weiteren Törns teil und absolvierte schließlich eine Ausbildung zum Skipper.