Kalte Platte
Folkert Lenz verband auf Spitzbergen zwei Leidenschaften und segelte auf einem Dreimaster von einer Skitour zur nächsten
Pech gehabt. Der Kanal ist dicht. In der engen Durchfahrt zwischen Blomstrand und der Hauptinsel von Spitzbergen hat sich ein Pfropfen gebildet. See-Eisschollen haben sich übereinander geschoben und ineinander verkeilt, kleine Eisberge vervollständigen die frostige Barriere. Gefrorener Matsch vor dem Bug lässt Kapitän Alexander „Ali“ Schmidt davor zurückscheuen, den Dreimaster weiter in den Eis-Cocktail hinein zu steuern. Wenige hundert Meter weiter ist schon der für die Nacht anvisierte Ankerplatz zu erkennen. Doch der direkte Weg ist versperrt. „Das bedeutet zwei Stunden zusätzliche Fahrt“, brummelt Ali vor sich hin – wenn auch nur leise. Der erfahrene Arktis-Skipper weiß, dass man in den Revieren des Nordens auf alles gefasst sein muss. Auch darauf, dass die Ansagen der Kollegen nicht immer stimmen. Denn der norwegische Fischer, der sich mit seinem knallroten Mini-Trawler gerade aus dem Sehkreis verabschiedet, hatte über Funk Stein und Bein geschworen, dass die Passage möglich sei. Nun denn: Wenigstens geht einem in den Gewässern Spitzbergens um diese Jahreszeit niemals das Licht aus; die Sonne verschwindet nur noch kurz unter dem Horizont.
Drei Abende zuvor hat die Rembrandt van Rijn in Spitzbergens Hauptstadt Longyearbyen abgelegt. Am nächsten Morgen schiebt sich ihr blauer Rumpf langsam in den äußersten Zipfel des Sankt-Jons-Fjords vor. Ganz hinten im Meeresarm verhindern mächtige Eiswände die Weiterfahrt. Auf breiter Front schieben sich mehrere Gletscher vom Inland in die See. Hier und dort schwimmt ein kleiner, abgebrochener Eisberg am Schiff vorbei. Wenn einer von ihnen an der Bordwand entlangschrammt, liegt ein leises Klingeln in der Luft. An Deck machen sich unterdessen die Skibergsteiger fertig – und legen Schwimmwesten an. Denn vor der Tour muss eine spritzige Schlauchbootfahrt absolviert werden. Nachdem Expeditionsleiter Phil Wickens und sein Bergführerkollege Massimo Candolini die Anlandestelle für sicher erklärt haben, dürfen die Touristen nachkommen. Unter lautem Dröhnen des Außenborders geht es im Dingi zur Küste.
Gerüstet für den Ernstfall
Phil und Massimo halten unterdessen Wache. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt den Eisbären, denn von diesen Raubtieren im weißen Pelz gibt es auf Spitzbergen mehr als menschliche Einwohner. Selten treffen die beiden aufeinander. Aber wenn, dann geht es schlecht aus. Manchmal für den Menschen, manchmal für den Bären. Weil die rund 3.000 Tiere auf Svalbard – wie die Inselgruppe im arktischen Norden eigentlich heißt – unter strengem Schutz stehen, sind alle Besucher der Wildnis dazu verpflichtet, sich für eine Begegnung zu wappnen. Die Regeln sind eindeutig: Sollte sich ein Eisbär unverhofft nähern, ist Rückzug angesagt. Der Polarführer Wickens von Oceanwide Expeditions hat vor dem Aufbruch die Touristen nachdrücklich beschworen, in diesem Fall den Anweisungen der Guides genau zu folgen.