Trockenkost

Der Wasserstand des Neusiedler Sees ist heuer besorgniserregend tief. Eine eigens eingerichtete Task Force prüft einen künstlichen Zufluss als mögliche Option, aus dem Lager der Umweltschützer regt sich Widerstand gegen diesen Eingriff in die Natur

Trockenkost

Wir schreiben das Jahr 1866. In dicken, weißlichen Säulen treibt der Wind ätzenden Salzstaub über das Land, der sich nicht nur auf Weingärten, Gemüsebeete und Siedlungen legt, sondern auch die Augen und Atemwege der Bevölkerung reizt. Der Neusiedler See ist ausgetrocknet – und das bringt ungeahnte Probleme mit sich. Mit dem Wasser verschwand auch dessen günstiger mikroklimatischer Einfluss, was sich nachteilig auf den Wein- und Obstbau auswirkt und zu gehäuftem Auftreten von heftigen Hagelstürmen führt. Und der ehemalige Seeboden, auf dem man allerlei anbauen wollte, erweist sich aufgrund fehlender Kalisalze als denkbar schlecht geeignet für die landwirtschaftliche Produktion. So sind Stimmung und Einkommen gleichermaßen an Boden.

Könnte es in absehbarer Zeit wieder zu so einem Szenario kommen? Und zudem die Wertschöpfungs- und Beschäftigungssituation in der Region, die in direktem Zusammenhang mit der touristischen Nutzung des Neusiedler Sees steht, negativ beeinflusst werden? Der momentan sehr schlechte Wasserstand, der im Juli bei 115,30 müA (Meter über Adria) und damit rund 20 cm unter dem Durchschnitt für diese Jahreszeit lag, lässt Pessimisten genau das befürchten. Undenkbar ist es tatsächlich nicht, im Gegenteil. Im Laufe seiner langen Geschichte ist der Neusiedler See mehrfach komplett ausgetrocknet, zuletzt eben zwischen 1864 und 1870. Das liegt daran, dass er das Ergebnis einer späteiszeitlichen tektonischen Einmuldung ist und in einer Wanne ohne nennenswerten Zufluss liegt. Sein Pegel hängt also größtenteils von Niederschlag und Verdunstung ab. An einem einzigen heißen Sommertag kann der Wasserstand um einen Zentimeter sinken – was bedeutet, dass sich rund drei Milliarden Liter Wasser buchstäblich in Luft auflösen. Wenn sich natürlicher Wassergewinn und -verlust aufgrund von Klimawandel und Erderwärmung nicht mehr die Waage halten (siehe dazu auch das Interview mit dem ORF-Meteorologen und Klima-Experten Marcus Wadsak), scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich der Steppensee in eine Lacke verwandelt. So verzeichnete der Hydrographische Dienst des Amts der Burgenländischen Landesregierung auf seinem Wasserportal im Mai 2020 nur 115,30 müA – den niedrigsten Wert, der seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1965 jemals für diesen Monat gemessen wurde. Der international anerkannte österreichische Datenwissenschafter Gerhard Svolba, der gleichzeitig leidenschaftlicher Segler ist, erstellte per 1. Juni ein Simulationsmodell für den Rest des Jahres, in das die Kenngrößen Niederschlag und Temperatur einflossen. Und kam im schlechtesten Fall zu einem beunruhigenden Ergebnis: Verläuft der Sommer 2020 so wie in der (extrem trockenen und heißen) Saison 2003, sinkt der Pegel Ende September auf unter 114,90 müA. Das würde einen Wasserstand von weniger als 70 cm bedeuten, womit nicht nur tiefergehende Segel- oder E-Boote im Hafen oder an Land bleiben müssten, sondern auch mit Jollen oder Katamaranen nicht mehr gesegelt werden könnte. Der de facto regnerische und eher kühle Juni entsprach dieser Vision, die Wassersportler wie Tourismus-Experten gleichermaßen erschreckt, glücklicherweise nicht, von einer Entwarnung kann aber keine Rede sein.

Wasser marsch?

Berechnungen wie diese lassen den Ruf nach einer Zuleitung von Fremdwasser immer lauter werden. Die Idee dazu ist durchaus nicht neu: Bereits 2002 gab die burgenländische Landesregierung eine entsprechende Machbarkeitsstudie für eine Dotierung in Auftrag (Anlass war der damals ebenfalls sehr niedrige Pegel), 2004 wurde ein Projekt präsentiert, das eine Befüllung mit Uferfiltrat der Donau aus dem Raum Wildungsmauer vorsah. Als in den folgenden Jahren der Wasserstand stieg, verschwand das Thema in der Versenkung – und poppt nun erneut auf. Denn der Neusiedler See soll als Landschaftselement erhalten bleiben, dieses Ziel wurde 2014 von der österreichisch-ungarischen Gewässerkommission, die alle wasserwirtschaftlichen Fragen rund um den Neusiedler See regelt, in einem Strategiepapier ausdrücklich festgehalten. Anders gesagt: Man will das „Naturjuwel“ keinesfalls austrocken lassen. Doch wie kann dieses theoretische Bekenntnis praktisch umgesetzt werden? In einem ersten Schritt hat man im Mai eine Task Force gegründet, die technische Lösungen für eine Wasserzufuhr prüfen bzw. entwickeln soll. Geleitet wird sie von Christian Sailer, der im Amt der Burgenländischen Landesregierung dem Hauptreferat Wasserwirtschaft vorsteht und eine Gruppe von Experten aus unterschiedlichen Interessensgruppen und Fachbereichen um sich vereinen will. Im Gespräch mit der Yachtrevue nannte er die Mosoni Duna, auch Kleine Donau genannt, als wahrscheinlichste Option für eine Dotierung. Aus diesem Seitenarm der Donau entnehmen die Ungarn seit Jahren Wasser für die Landwirtschaft und es existiert bereits eine Ableitung, die als offener Kanal bis zur Staatsgrenze weitergeführt werden könnte. Laut Sailer wollen die ungarischen Kollegen diese Verlängerung Ende Juli offiziell einreichen; die behördliche Genehmigung sei wahrscheinlich. „Die Chance ist hoch, dass wir einen Wasserübernahmepunkt an der Grenze schaffen“, glaubt Sailer, wobei die Einleitung in den See aufgrund der vorherrschenden Windrichtung im nördlichen Teil des Ostufers erfolgen sollte. Da es bei dem angedachten Übernahmepunkt kein freies Gefälle gibt, würde das Wasser der Mosoni Duna allerdings nicht von selbst in den See fließen, sondern müsste durch Pumpen gehoben werden. Und zwar in großem Stil: Für einen einzigen Zentimeter mehr Wasserspiegel bräuchte es drei Millionen Kubikmeter Wasser. „Das ist ein Mega-Projekt“, beschönigt Sailer nichts, „das durch diverse Verträglichkeitsprüfungen und Genehmigungsverfahren gehen muss und sich ganz sicher nicht von heute auf morgen verwirklichen lässt.“ Befragt nach einem Zeithorizont, nennt er eine Dauer von mindestens fünf, schlechtestenfalls zehn Jahren, bis tatsächlich Wasser in den Neusiedler See fließen könnte.

Kritische Stimmen

Dagegen leisten Naturschützer allerdings schon jetzt heftigen Widerstand. „Das fallweise Austrocknen des Neusiedler Sees ist aus naturwissenschaftlicher und ökologischer Sicht keine Katastrophe, sondern ein natürlicher, für den pannonischen Lebensraum charakteristischer Prozess“, argumentiert etwa Prof. Christian Schuhböck, Generalsekretär der unabhängigen Umweltorganisation Alliance for Nature, die sich gegen eine Dotierung mit Fremdwasser ausspricht.

Die gesamte Story plus ein Interview mit ORF-Chefmeteorologen Marcus Wadsak lesen Sie in YR 8/2020, am Kiosk ab 31. Juli!

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