Von Schwiegermüttern und Auftragskillern
Sommerferien XIV. Bisweilen entwickelt sich das Wunder Familientörn zu einem bizarren Schauspiel mit ungewissem Ausgang
Ein Schweizer erzählt mir in Sizilien, dass er seit zehn Jahren mit seinen fünf Töchtern unterwegs ist. Die mittleren drei sind Drillinge. „Alle fünf sind heute Seglerinnen. Doch während der ersten paar Familientörns hätte ich sie am liebsten im Gesamtpaket zur Adoption freigegeben“, berichtet er.
Ein anderer Familienspezialist schafft es offenbar, sein komplettes Patchwork auf eine 52er-Yacht zu zaubern. Mit dabei: Beide Ex-Frauen, die aktuelle Lebensabschnittspartnerin, zwei andere streunende Väter, ein mannshoher Hund von Baskerville sowie eine Horde nicht zuordenbarer Halbgeschwister unterschiedlicher Größen und Geschlechter.
Es gibt aber Konstellationen, in denen Kinder gar nicht mitspielen. Gerade dort ist der Mitleidseffekt bisweilen unerträglich. Schon zu Beginn unseres Törns frag‘ ich mich in der Marina Punat, wie mein Nachbar die kommende Woche überleben will. Ein 45-jähriger (optisch 60-jähriger) Stadtneurotiker, tief zerfurchtes Gesicht, hager, permanent von Zuckungen heimgesucht. Die Crew: Seine Frau, seine füllige Mutter, seine kettenrauchende Schwiegermutter, die magersüchtige Schwester seiner Frau und die schwerhörige Tante. Einzige männliche Verstärkung: Der zugehörige Onkel, eine giftige Legierung aus Mr. Goldfinger, Kaiser Nero und Donald Trump. In den zehn gemeinsamen Stunden im Hafen wohnen wir als Publikum unfreiwillig einer gespenstischen Tragikomödie bei:
Tante: „Heiner-Ehrfried! Du kannst schon pumpen kommen!“
Heiner-Ehrfried: „Gern, Tantchen! Hast schon fertig Pipi gemacht?“
Tantchen: „Häää?“
Schwiegermutter: „Warum ist Heinz-Ehrfried bloß so nervös?“
Mutter: „Ne, ne, ne! Das lass ich mir von dir nicht in die Schuhe schieben! Es ist ganz allein die Schuld DEINER Tochter, meine liebe Mechthild, dass aus MEINEM Sohn ein Vollidiot geworden ist!“
Tantchen: „Heute ist Vollmond?“
Heiner-Ehrfried: „Onkel Burgward, wirfst du mit mir einen Blick auf die Genua?“
Tantchen: „Ein Leguan? Hier? In Kroatien?“
Onkel Burgward: „Genua! Du taube Nuss! Aber datt machst du schön selber, Heinerchen! Ick hab dir immer jesagt: Nimm nen anständigen Pott! Zwei schöne Maschin‘ mit zwei Mal achthundertfuffzich PS am Heck. Mit dem janzen Piraten-Schnickschnack und dem andern Segel-Firlefanz musst de janz alleine ferdig werden.“
Heiner-Ehrfried: „Muttchen, ich muss aus der Kiste, auf der du gerade sitzt, etwas rausnehmen.“
Muttchen: „Mensch, Heinerle, meen Jungchen! Jetzt setz‘ dich doch selber mal hin. Du schwitzt ja schon wie ‘n kleines Schweinchen! Ruh dich ne Minute aus, dann machst de uns nen leckeren Kafffe mit Kekse und suchst ‘n Restaurant für abends aus. Du suchst es aus! Nicht deine Frau! Sonst kriegen wir Onkel Burgward wieder nicht satt!“
Die Magersüchtige: „Ick will aber nur Rosenkohl.“
Die Ehefrau: „Rübenschnäuzchen, hast du gehört? Camilla will Grünzeug!“
Tantchen: „Wo ist das Flugzeug?“
Heiner-Ehrfried: „Natürlich, meine Zuckerhummel: Jemüse für Camilla, Eisbein für Burgward und ein Airbus für Tantchen! Geht klar.“
Muttchen: „Wie peinlich! Jetzt will Heinerle auch noch witzig sein!“
Tantchen: „Burgward verträgt aber keinen Tintenfisch.“
Nachdem stundenlangem Mithören sage ich mitleidig: „Er muss sich noch heute mit der Signalpistole erschießen.“ Mein Co-Skipper denkt rationaler: „Nein, er braucht einen Trommelrevolver mit acht Patronen. Falls er einmal daneben schießt.“ Darauf die taube Tante vom Nachbarschiff: „Das hab ich gehört! War nicht sehr nett!“
Nach einer Woche treffe ich den gebeutelten Berliner zufällig hinter dem Marina-Gebäude. Er lebt, raucht eine nach kolumbianischen Kräutern duftende Wundertüte, hält eine halbvolle Flasche Travarica in der Hand und sagt: „Ich pfeif‘ auf die Anonymen! Wenn ich daheim bin, geh‘ ich zu den öffentlichen Alkoholikern.“ Hätte mich der arme Kerl genau jetzt gebeten … ich wäre als Auftragskiller eingesprungen. Ehrenamtlich.