Zwangloses Vergnügen
Die British Virgin Islands sind zweifelsfrei ein fantastisches Segelrevier. Aber macht es auch Spaß sie als Teil einer Flottille zu erkunden?
Das Prinzip Flottille ist rasch erklärt. Eine Gruppe von Charteryachten folgt einer vorgeschriebenen Route und wird von einem Leitboot mit Skipper, Techniker und Hostess begleitet. Die Hostess steht für Anliegen des Alltags zur Verfügung, der Techniker kümmert sich um alle Probleme rund ums Schiff, der Skipper beantwortet nautische Fragen und informiert täglich über Wind, Wetter sowie relevante Fakten zur kommenden Etappe. Diese Briefings, die üblicherweise am späten Nachmittag stattfinden, sind die einzigen Fixpunkte für die Gruppe; den Rest des Tages gestaltet jede Crew nach ihrem Gutdünken. Die im Programm angeführten Abendveranstaltungen sind als Angebot zu verstehen – man kann, muss aber nicht daran teilnehmen.
So weit die Theorie. Aber wie fühlt sich das in der Praxis an? Ist der vorgerfertigte Rahmen eher Einengung oder Entlastung? Um das herauszufinden nahmen wir in der karibischen Badewanne der British Virgin Islands, einem uns bislang unbekannten Revier, an einem von Sunsail organisierten, einwöchigen Flottillen-Törn teil.
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Raumschots fetzen wir bei vier bis fünf Beaufort mit einem Reff im Großsegel die Westküste von Virgin Gorda entlang. Der warme Passat zaust das Haar, ober uns wölbt sich azurblau der Himmel, unter uns schillert das Wasser in leuchtenden Türkistönen. Schöner kann Segeln nicht sein. Vergessen sind strapaziöse Anreise und Jetlag, vergessen der enttäuschende Auftakt, als wir unter tiefliegenden grauen Regenwolken mit langen Mienen den ersten Schlag von Wickham’s Cay II, unserer Ausgangsmarina, über den Sir Francis Drake Channel zur Peter Island machten, vergessen auch die Tatsache, dass fünf von sechs Gepäcksstücken aus Sicherheitsgründen in St. Maarten blieben, weil die kleine Propellermaschine, die uns nach Tortola brachte, überladen war. Jetzt ist alles gut. Innerhalb von 24 Stunden wurden sämtliche Taschen nachgebracht, die Schlechtwetterfront ist durchgezogen, die Sonne scheint, die Mundwinkel zeigen wieder nach oben. Unser Tagesziel ist Gorda Sound, auch North Sound genannt, eine weiträumige, bestens geschützte Bucht, die tief in die Nordseite der Insel Virgin Gorda einschneidet. Auf die navigatorischen Tücken hat Don, der Leitwolf unserer Flottille, gestern ausführlich hingewiesen. Mit uns sind es acht Crews, die ihm folgen, vom distinguierten Londoner Pärchen bis zur bunt zusammengewürfelten, ausgelassenen Schar aus Colorado.
Dank Don fühlen wir uns für alle Eventualitäten gerüstet und weil wir früh aufgebrochen sind, nehmen wir nicht den kürzesten Kurs, sondern machen einen kleinen Umweg zu Necker Island. Dieser hübsche Flecken gehört seit 1979 dem britischen Milliardär und Abenteurer Richard Branson; vor wenigen Wochen haben Michelle und Barack Obama auf dessen Einladung hin hier Urlaub gemacht. Betreten ist natürlich verboten, aber wir können im Vorbeisegeln hoch am Hügel das im balinesischen Stil erbaute, ausladende Hauptgebäude mit riesigem Pool, darunter die strohgedeckten Gästehäuser sowie eine kleine Sportkatamaran-Flotte am Strand deutlich erkennen. Man muss übrigens nicht US-Präsident gewesen sein, um hier zu entspannen, nur finanziell gut dastehen. 80.000 Dollar kostet eine Nacht auf der rund 30 Hektar großen Necker Island, im Preis inbegriffen sind rund 30 Schlafplätze und jede Menge Personal.
Wir sind mit 47 Fuß und sechs Schlafplätzen vollkommen zufrieden, schwenken zurück nach Süden und steuern die von Riffen gesäumte, betonnte Einfahrt in den North Sound an. Plötzlich ein Schrei vom am Vordeck postierten Ausguck: Delphin! Besser noch: Delphin mit Baby! Die Begeisterung an Bord über das unerwartete Schauspiel ist groß. Das Kleine weicht nicht von der Seite seiner Mutter, macht alle ihre Wendungen in perfekt paralleler Bewegung mit – wer braucht da noch den Luxus von Necker Island …
Wie in allen größeren Buchten der BVI sind auch im North Sound zum Schutz der Korallen jede Menge Bojen ausgelegt, wir fischen nach einer unweit von Saba Rock, einem Mini-Inselchen, auf dem nicht mehr ein kleines Hotel mit Restaurant und Bar Platz gefunden hat. Eine Leine von links durch das Auge gesteckt, die zweite von rechts, schon liegen wir sicher vertäut; sehr praktisch. Mit dem Beiboot tuckern wir zu der schmalen Landzunge im Osten, wo sich vor dem Rand eines Mangrovenwaldes schmucke Chalets aneinander reihen. „Bitter End Yacht Club“ steht auf einer überdimensionalen, leuchtend blauen Bank am Dingi-Dock, doch das ist reine Irreführung. Bei der Anlage handelt es sich nicht um einen Segelverein, sondern um ein kleines, elegantes Ferien-Resort plus Marina, und ein bitteres Ende wird es hier mit uns garantiert nicht nehmen. Ganz im Gegenteil – wir geben uns dem süßen Nichtstun hin, ordern eiskaltes Carib und schauen zu, wie die Sonne im Meer versinkt.
Aufregende Risikobeteiligung
Tags darauf steht Abenteuer auf dem Programm: Anegada, eine flache Flunder von Insel, die den oberen Rand der BVI markiert, wurde mit seinen gefährlichen Untiefen und unerwarteten Strömungen schon vielen Seglern zum Verhängnis. Die Ansteuerung ist ausgesprochen kniffelig, auf dem vorgelagerten Horseshoe Reef, das mit 29 Kilometern zu den längsten der Welt zählt, liegen angeblich 300 Wracks aus allen Epochen. Nicht umsonst wird in manchen Charterverträgen ein Abstecher nach Anegada explizit verboten. Don hat unsere Gruppe am Vorabend mit detaillierten Anweisungen versorgt, 8 Uhr 30 als gemeinsame Abfahrtzeit festgelegt und für die heikelste Stelle sein Dingi als Lotsen versprochen – wird schon nichts schiefgehen. Elf Seemeilen ist diese Etappe lang, schnurgerade geht es nach Norden. Wieder begleiten uns Delphine, diesmal zwei erwachsene Tiere. Sie schwimmen ganz knapp vor unserem Bug, wechseln spielerisch die Seite und lassen sich vom Rumpf regelrecht den Rücken schrubben. Was für eine Show!