Karibische Kombination
In keinem anderen Revier lassen sich Segelurlaub und Unterwasser-Abenteuer so einfach miteinander verknüpfen wie in den British Virgin Islands. Rendezvous-Tauchen macht es möglich
29. Oktober 1867. Kein Lufthauch regt sich. Die See ist spiegelglatt, in der heißen Karibiksonne flirrt die Luft. Die Hurrikansaison geht bereits ihrem Ende zu, als sich am späten Vormittag plötzlich der Himmel verdunkelt. Kräftiger Wind setzt ein und erreicht innerhalb kürzester Zeit Sturmstärke. Noch lässt sich Sir Robert F. Wooley nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin ist er der Kapitän eines der modernsten Schiffe seiner Zeit. Die 310 Fuß lange RMS Rhone ist eines der ersten Schiffe, das aus Eisen gebaut wurde und sowohl mit der Kraft des Windes als auch einer Dampfmaschine angetrieben werden kann.
Um die Ankerkette zu entlasten, gibt Wooley den Befehl die Maschine mit voller Kraft gegen Wind und Wellen laufen zu lassen. Als der Wind ein wenig nachlässt, beschließt der Kapitän das Post- und Passagierschiff am offenen Meer in Sicherheit zu bringen. Doch beim Aufholen des Ankers bricht ein Schäkel, der Anker rauscht in die Tiefe und die Abfahrt verzögert sich. Gerade als die Rhone die Westspitze von Salt Island umrunden und auf offene See flüchten will, setzt der Wind genau von vorne und mit voller Kraft wieder ein. Hurrikan San Narciso wirft die Rhone mit aller Wucht gegen die scharfkantigen Felsen von Black Rock Point. Wasser dringt in den Maschinenraum ein und bringt den Heizkessel zur Explosion. Das Schiff bricht in zwei Hälften und sinkt in Minutenschnelle. Mehr als 120 Menschen kommen dabei ums Leben.
Nur ein einziges Bullauge, Bullauge Nr. 26, hat den Untergang unbeschadet überstanden. Nur eine kleine Ecke ist aus der inzwischen verkrusteten Scheibe gebrochen, sein Messingrand glänzt aber noch immer in den spärlichen Sonnenstrahlen, die den Meeresgrund in 14 Meter Tiefe erreichen. Ehrfürchtig streiche ich mit der Hand über das „lucky porthole“, das Glück bringen und Wünsche erfüllen soll.
Unterwasser-WG
Die einst so stolze RMS Rhone ist heute das bekannteste Wrack der Karibik und beliebtester Tauchplatz der British Virgin Islands. Noch bevor wir ihr Heck mit dem Glücksbullauge und der mächtigen Bronze-Schraube erkundet hatten, führte uns der erste Tauchgang zum besser erhaltenen und tiefer gelegenen vorderen Teil des Schiffes. Wir tauchten durch die große Ladeluke, durch die sich bereits Jacqueline Bisset und Nick Nolte im 70er-Jahre Filmklassiker „Die Tiefe“ geschlängelt hatten, und erkundeten das düstere Innere des Schiffes. An das diffuse Licht, das gebündelt durch das Schiffsgerippe fällt, mussten wir uns erst gewöhnen. Auch an das Gefühl, ständig verfolgt zu werden. Ein langgezogener Schatten, der wie ein Stock im Wasser zu schweben schien, zog langsam seine immer enger werdenden Runden. Über einem mächtigen Kiefer mit üblem Überbiss taxierten uns große, starre Augen.
„Darf ich vorstellen? Fred. Oder vielleicht auch Fang“, lacht unser Diveguide JP von der Tauchbasis We Be Divin nach dem Auftauchen. Fred und Fang sind zwei ausgewachsene Barrakudas, die in den Überresten der RMS Rhone eine Wohngemeinschaft gegründet haben.
Nach den beiden erlebnisreichen Tauchgängen am Wrack werden wir von JP zurück zu unserem schwimmenden Quartier gebracht, einer Lagoon 400, die sicher an einer Boje in Great Habour auf Peter Island liegt. Es ist erst Mittag und wir setzen die Segel um die nächste der kleinen Schwestern, wie die Inseln im Sir Francis Drake Channel genannt werden, anzulaufen. Die Manchioneel Bay auf Cooper Island ist nur fünf Seemeilen entfernt und wir erreichen den mondänen Beach Club nach gemütlichem Aufkreuzen rechtzeitig zur Happy Hour, die zwischen 16 und 18 Uhr mit Spezialpreisen für ausgewählte Cocktails lockt.
Korallengärten
Am nächsten Morgen sind wir bereit für unser nächstes Rendezvous. Diesmal sind wir zu früher Stunde mit David Peters und Kina Stead von den Sail Caribbean Divers verabredet. Sie bringen zwölf vollgefüllte Pressluftflaschen und Leihequipment auf ihrem Tauchboot mit und schon geht es los zu einem von Davids Lieblingstauchplätzen, dem Vanishing Rock, der im Nordosten von Salt Island liegt.