Kassasturz
Die Buben im zweitbesten Alter sind der elektronischen Steinzeit entflohen. Die Erfolgsquote ist bescheiden
Wo sind die Zeiten, in denen die Bordkassa aus einem mit Dinar-Scheinen vollgestopften Plastiksackerl bestand? Keine Angst, ich will die Ära des jugoslawischen Diktators Tito nicht verherrlichen. Wenn aber bei einem Törn mit zwei Schiffen und 13 Männern im zweitbesten Alter (=Ü60) stundenlang über ausgeklügelte Excel-Dateien und diverse Bordkassa-Apps diskutiert wird …
… wenn womöglich ein Streit entbrennt, weil sich einer an der laktosefreien Haltbarmilch des Nachbarbootes nicht beteiligen will …
… wenn vierzehn Tage nach dem Törn Kontonummern hin- und hergemailt werden, um die aus dem Ruder gelaufene Bilanz auszugleichen …
… wenn sogar die Kursschwankungen zwischen Euro und Kuna zum abendfüllenden Thema werden …
… dann werde ich halt ein bisserl wehmütig. Wobei wehmütig das falsche Wort ist. Zornig trifft es eher. Vielleicht finde ich ja eine Aggressionsmanager-App. Wenn nicht, engagiere ich einen tibetanischen Mönch als Co-Skipper.
Es gab Zeiten, da waren wir keine alten Deppen, sondern junge. Wir befanden uns in der elektronischen Steinzeit. Geredet wurde über das Segeln und andere angenehme Tätigkeiten. Jedenfalls nicht darüber, ob eh eine Espresso-Maschine an Bord ist. Dabei handelt es sich um jenes Lärminstrument, mit dem der Frühaufsteher die gesamte Crew aus der Koje knattert. Allerdings nur im Hafen, denn in der Bucht gibt es bekanntlich keinen Landstrom. Wobei bekanntlich das falsche Wort ist. Überraschend trifft es eher. Ich höre gerade die verzweifelte Frage: „Sag’, wieso geht die Espresso-Maschine nicht?“ Richtige Antwort: „WEIL SIE MIT ZWÖLF VOLT NICHT FUNKTIONIERT, ZUM KUCKUCK!“
Jetzt wären die guten alten Kaffeefilter gefragt, die nicht an Bord sind, weil sie ein Mitdenker von der elektronischen Einkaufsliste entfernt hat. Denn wir haben ja eh eine Espressomaschine. Einer sagt: „Ich trink’ eh lieber Tee.“ Glatte Lüge, doch besagter Mitdenker will sich keine Blöße geben. Seit er in der Volksschule an Diphterie erkrankt war, hat er keinen Tee mehr getrunken. Jetzt zwingt er den „Blasen- und Nieren-Freund“ seinen Rachen talwärts, weil ein anderes Genie des Einkaufswesens die Worte Darjeeling oder Earl Gray nicht unfallfrei lesen konnte.
„Man kann ja aus der Küchenrolle einen Kaffeefilter basteln“, geistesblitzt ein Dritter. Wobei kann das falsche Wort ist. Könnte trifft es eher. Denn es gibt keinen gemahlenen Kaffee. „Vielleicht auf dem anderen Schiff“, wirft der Blasenteetrinker ein. Jetzt wird das Schlauchboot aktiviert, um die Nachbarn zu besuchen. Ein Handy-Anruf hätte genügt, aber so weit reicht die Elektronik-Affinität nun doch wieder nicht. Außenborder springt nicht an, weil die Kaffeejäger zwar wissen, wie man Kaffeekapseln wechselt, aber vergessen haben, dass es einen Benzinhahn gibt. Gab es übrigens schon unter Tito.
Auf dem zweiten Schiff findet sich zwar auch kein gemahlener Kaffee, dort aber ist dem Thomas Edison des 21. Jahrhunderts unter dem Jubel der Crew eine nobelpreisverdächtige Erfindung ausgekommen: Trichter, Klopapier, Inhalt der aufgeschnittenen Espresso-Kapseln. Einfach genial!
Das fulminante Ergebnis: Der mit Abstand teuerste, widerwärtigste und umweltschädlichste Kaffee, den ich in meinem ganzen Leben getrunken habe. Und das, obwohl ich schon unter Tito die berüchtigte jugoslawische Feigenbrühe genossen hab‘, die sich geschmacklich nur geringfügig vom Benzingemisch für den Außenborder unterschied.
Gänzlich unbemerkt ist Wind aufgekommen. „Los jetzt!“ Der Blasen- und Nieren-Freund wird unauffällig ins Meer gekippt. „Wo fahren wir hin?“ Gute Frage: Wir haben keinen Marina-Liegeplatz reserviert. Drei Anrufe – niemand hebt ab. In der vierten Marina erreichen wir eine Dame mit dem Charme eines Unteroffiziers unter Tito. „Wenn reservieren musst du zahlen voraus über App!“ Funktioniert selbstverständlich nicht.
Sorry, das ist nicht mehr meine Welt. Die Planung für den nächsten Törn läuft: Tristan da Cunha – angeblich die abgelegenste bewohnte Insel der Welt.