Mit den Seenomaden über den Atlantik
Reportage und Praxistipps von Doris Reenoldner und Wolfgang Slanec
Segelreisen haben etwas Archaisches. Eine Atlantiküberquerung dauert heute, sofern man nicht auf einem schnittigen Tempowunder sitzt, etwa so lange wie zu Kolumbus’ Zeiten. Mit unserer Nomad bringen wir es auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von sechs Knoten. Das sind zehn Stundenkilometer, kaum schneller als gemütliches Joggen. Würden wir über den großen Teich laufen, bräuchten wir auch nicht länger.
Es ist eine Krux mit dem Abfahrtstermin. Täglich studieren wir die Wetterkarten und entscheiden schließlich, dass der 10. Jänner 2013 der richtige Tag für Puls und Wellengang ist. Passageweather.com verspricht für die kommende Woche einen friedlichen Ozean, vorläufig jagen uns aber 25 Knoten Rückenwind durch den Kanal Sao Vicente. Unter der bizarren Steilküste überholen wir die tief im Wasser liegende Astraeus und winken unseren ungarischen Freunden zu: "Wir sehen uns in der Karibik!"
„2.100 Seemeilen von Mindelo/Insel Sao Vicente bis Tobago, Kurs 266°, ETA in 300 Stunden“ lesen wir am Plotter; das wären 12,5 Reisetage. Wir sind zu dritt an Bord. Mit dabei Wolfis Tochter Stefanie, die ihren Job gekündigt hat um mit uns über den Ozean zu segeln. Aufgeregt? Nervös? Ein bisschen. Immerhin gehen wir unsere vierte Transatlantik-Fahrt an. Am Abend verschwinden die Kapverdischen Inseln im Dunst – und mit ihnen leider auch der Wind. Mit schlagenden Segeln geigen wir durch die Nacht. In der Kajüte nerviges Getöse. Es braucht eine Weile, bis wir Geschirrtücher und Schaumgummireste in diverse Stauräume gestopft haben, um Flaschen, Töpfe und Dosen zu bändigen. Wolf krallt sich den 766 Seiten schweren Bestseller Verdammnis von Stieg Larsson. „Fängt gut an", meint er. „Lisbeth Salander macht Urlaub in der Karibik!"
Unerwartet leichte Winde prägen den ersten Teil der Reise. Sachte schaukeln wir auf einer imposanten Dünung. Mit unzähligen Segelmanövern versuchen wir dem riesigen Ozean Meilen gegen Westen abzutrotzen. Zur Belohnung gibt es bestenfalls Etmale um die 120 Seemeilen. Langsam aber sicher entschweben wir in jenen zeitlosen Zustand, der für lange Überfahrten typisch ist. In diesem blauen Universum fehlt es an Orientierung, einzige Anhaltspunkte sind die Kurslinie am Plotter und die Positionskreuze am Übersegler. Unsere Welt schrumpft auf ein paar Quadratmeter, was bleibt ist die Sicht zum Horizont. Das Leben reduziert sich auf das Wesentliche.
Das Läuten des Iridium-Handys durchbricht diese Blase. Freund Reinhards Stimme klingt verzerrt und metallisch, wie von einem anderen Stern, einem Universum, das wir vor langer Zeit verlassen haben. Seine Erzählungen von Schitouren im Pulverschnee machen uns den Mund wässrig. Die gute Nachricht: Der Passat sollte bald wieder voll einsetzen.
Nachts im Mast
Kein Tag gleicht dem anderen, jeder hält eine Überraschung bereit. Eines Abends irritiert eine Silhouette den aufmerksamen Rundumblick. Wolf sichtet einen kleinen Schoner, nur ein paar hundert Meter vor Nomads Bug. Begegnungen auf hoher See sind rar wie die Stecknadel im Heuhaufen. Wolf funkt auf UKW die französische Yacht an. Gros Calin startete zwei Tage vor uns von Mindelo und peilt Barbados an. Das Boot führt keine Positionslichter, wir erkennen auch kein Echo am Radar. Am neunten Tag auf See verfärben sich Meer und Himmel dunkelgrau. Bleierne Schwüle legt sich über Nomad. Blitze zucken am Horizont, das Grollen des Donners rückt immer näher.
Den kompletten Artikel finden Sie in der Yachtrevue 11/2013