Kleine Insel, große Klasse
Menorca lässt das Herz der Segler höher schlagen. Der Mistral gibt den Rhythmus vor, traumhafte Fjorde und entzückende Städtchen liefern jede Menge Sauerstoff
Reffen, um sich nicht strafbar zu machen – das hat noch keiner von uns erlebt. Aber „tres nudos“ heißt nun einmal nicht „drei Nackte“ sondern „drei Knoten“ und gibt, unübersehbar auf große Tafeln gemalt, das Speed Limit in Mahón vor. Und die Hafenpolizei wirkte durchaus entschlossen, den starken Verkehr in diesem beeindruckenden Fjord in geregelten Bahnen zu halten …
Natürlich hätten wir auch unter Maschine fahren können, doch die Versuchung, segelnd bei drohendem Gewitter und zwanzig Knoten am Wind in den zweitgrößten Naturhafen der Welt zu rauschen, war einfach zu groß. Deshalb rauschten wir tags darauf bei ebenfalls zwanzig Knoten Wind, aber Sonnenschein auch wieder heraus. Zweites Reff unter Schmetterling. Der Offizier am Fernglas des Patrouillenbootes drückte bei unserer Ankunft das linke, bei unserer Abfahrt das rechte Auge zu. Ich glaube, er hat sogar geschmunzelt, und so gingen sechs Knoten als drei Knoten durch.
Mahón lag am Ende unserer sechsten Tagesetappe. Nach allem, was wir bisher erlebt und gesehen hatten, erschien uns eine Steigerung nicht mehr möglich. Wir irrten: Vier Marinas mitten in der Stadt, eine schöner gelegen als die andere. Unkomplizierte Abwicklung, Strom und Wasser im Schnitt billiger als in einem entsprechenden kroatischen Etablissement. Man darf in Mahón auch problemlos an den Molenköpfen längsseits festmachen. Da lernt man dann eines zu schätzen: tres nudos! So bleibt der Schwell gering.
Die Stadt Mahón liegt auf zwei Ebenen: Eine Hafenpromenade bietet endlos Platz für all jene, die von Booterl-Schauen und gediegenen Kneipen nicht genug bekommen können. Die Altstadt mit historischen Kirchen und Villen, belebten Plätzen, originellen Boutiquen und einladenden Restaurants befindet sich quasi im ersten Stock. Von dort oben lernt man die Dimension und Schönheit dieses drei Seemeilen langen Naturhafens erst richtig zu schätzen. Und spürt, dass hier ein Herz für Segler schlägt, denn soweit das Auge reicht, findet man nicht eine einzige Mole, an der keine Yacht liegt.
Willkommene Gäste
Und wie es schlägt, dieses Herz für Segler! Und zwar rund um Menorca. Stärker als das viel größere Mallorca liegt die Insel im Einflussbereich des Mistrals, der oft aus dem im Nordwesten gelegenen Rhone-Tal bläst. Manchmal behält er Sturmstärke, meistens sorgt er für moderaten Halbwind entlang der Nordküste. Menorca gleicht einer Hochebene mit Steilküste. Daher taugt der Wind auch an der Südküste zum Segeln; dort sogar ganz ohne unangenehme Welle. Nur eine Erhebung – der 357 Meter hohe Monte Toro – ist von praktisch jedem der tief eingeschnittenen Fjorde zu sehen.
Die Menschen auf Menorca pflegen das besagte Herz für Segler: Fast in jeder Bucht sind gelbe Bojen an mächtigen Betonblöcken ausgelegt. Trotz Nachsaison sind Buchten und Marinas gut besucht, weshalb eine Voranmeldung über Funk ratsam ist. Das wird teilweise auch eingefordert, weil dann eine der Bootsgröße entsprechende Festmacherboje reserviert werden kann. Wo keine Bojen liegen, kann man meist problemlos ankern. Der Grund ist zumeist sandig und selten verkrautet. In vielen bewohnten Buchten darf man auch an den Hafenstegen festmachen.
Die Überfahrt vom phantastisch gelegenen Port de Pollença im Nordosten Mallorcas nahmen wir nach einem wettertaktischen Fehler in Angriff: Der Mistral gönnte sich gerade eine der seltenen Atempausen, die Dünung war aber noch vorhanden. Bei leichtem Nieselregen, Welle und Flaute 36 Seemeilen zu motoren war keine gute Idee … Aber das sollte der einzige selbstverschuldete Schönheitsfehler der gesamten Woche bleiben.
In der Cala Santandria, die wir trotz Bewölkung in der Nacht gut gefunden hatten, sah die Welt bei Sonnenaufgang schon anders aus. Der Wind legte zu, der Himmel klarte auf, die Festung, die aussieht wie eine fliegende Untertasse aus der Steinzeit, erstrahlte im Morgenlicht.