Lipsi war wohl das Tortuga der Antike: Eine Pirateninsel auf hohem Niveau, teils halbwegs sicheres Versteck, teils von Überfällen heimgesucht. Zu Kriegszeiten wurde der Platz für Piraten knapp. Da lagen die Kriegsschiffe des Attischen Seebundes, der Spartaner, der Kreter, später der Osmanen, noch später der Italiener und gegen Ende des zweiten Weltkriegs auch die der Deutschen hier vor Anker.
Das Bild hat sich gewandelt: Ein paar Segler, wenige Motoryachten, viele Fischerboote, meist nur mit einem Mann besetzt. Dazu ab und zu die Großfähren aus Kos und Samos sowie das Tragflügelboot „Flying Dolphin“ aus Leros im Süden oder Patmos im Westen. Keine Piraten weit und breit. Dafür wunderbares Segeln im magischen Dreieck zwischen Samos, Kos und dem für Segler uninteressanten Ikaria höchst unbeschwert. Der Meltemi bläst hier oft mit sieben, selten mit weniger als vier Beaufort, verursacht aber wegen der gewaltigen Landmasse der Insel Samos keine nennenswerte Welle. Manchmal ist sie hoch genug, um jeden Kamm gewinnbringend auszusegeln, dann wieder erscheint es effizienter Kurs zu halten und die Welle zu durchschneiden. Das hält wach und sorgt für Konzentration am Steuer.
Unbewohnt sind die vermeintlich unbewohnten Inseln dieses Reviers keineswegs – bestenfalls menschenleer: Die südlichen Sporaden sind ein einziges, riesiges Vogelschutzgebiet. Sturmtaucher, Kormorane und Falken ziehen ihre Kreise. Wenn man besonderes Glück hat, kann man aus diesen Kreisen den einen oder anderen Winddreher ablesen, um noch ein bisschen schneller zu segeln. Das ist an sich völlig egal in dieser zeitlosen Welt, aber so ein Geheimtipp sind die Dodekanes-Inseln auch wieder nicht, dass nicht irgendwo in Sichtweite ein Gegner auftauchen könnte. Sind wir doch ehrlich: Ein bisserl Matchrace geht immer…
Wenn möglich aber nicht mit einem Patrouillenboot: Wer sehr viel Pech hat, wird auf dem Weg nach Lipsi von der Küstenwache aufgebracht. Denn die stets umstrittenen Grenzgewässer zwischen Samos und Bodrum sind weder den Türken noch den Griechen egal. Die Freundlichkeit der Besatzung richtet sich in so einem seltenen Fall nach der aktuellen politischen Wetterlage. Will man auf Türkisch angebrüllt werden, dann provoziert man die Wachposten auf der Insel Bayrak in der nicht einmal eine Seemeile breiten Straße von Samos. Der dortige Leuchtturm ist eher ein Wachturm und die türkische Fahne groß wie das Fußballfeld im Galatasaray-Stadion von Istanbul.
Den gesamten Revierbericht von Jürgen Preusser lesen Sie in der YR 05/2015, erhätlich am Kiosk ab 4. Mai!