Kvarner
Bericht über ein häufig gemiedenes Revier von Verena Diethelm
Grausam und brutal. Die Legende über die Entstehung des Kvarners ist nichts für Zartbesaitete. Medea ermordete ihren Bruder Apsyrt um den mit dem Goldenen Vlies fliehenden Argonauten zu helfen, zerstückelte ihn und streute die Körperteile ins Meer. Aus den Armen des unglücklichen Helden sollen die Inseln in der Kvarner-Bucht entstanden sein, die in der Antike auch die Apsyrtiden genannt wurden.
Grausam und brutal sind aber auch zahlreiche andere Legenden, die sich rund um den Kvarner ranken. Im Zentrum dieser Horrorgeschichten steht meist die gefürchtete Bora, die über die Hänge des Velebit-Massivs Anlauf nimmt, um dann mit voller Wucht über das Meer zu blasen. Die meisten Adria-Skipper meiden daher diese Gegend und lassen den Kvarner auf ihrem Weg in den Süden so schnell wie möglich hinter sich. Schade, denn die Inseln im Kvarner haben ihren ganz besonderen Reiz.
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Wir beginnen unseren einwöchigen Erkundungstörn auf der größten Insel Kroatiens, Krk, die über eine Autobrücke leicht vom Festland zu erreichen ist. Es nieselt, der Horizont ist wolkenverhangen, das Meer bleiern, als wir in Punat mit dem Tagesziel Rab ablegen. Obwohl der Wetterbericht nicht allzu schlimm klang, lassen wir die Wolkentürme über dem Festland nicht aus den Augen. Wie festgewachsen hängt eine Borawalze über Senj. Der kleine Hafenort am Festland ist eines der gefürchtetsten Boralöcher der Adria. Der Nordostwind weht hier an 200 Tagen im Jahr. Die Düse zwischen Krk und Rab, die den Nordostwind zusätzlich verstärkt, wird nicht umsonst „das brüllende Maul“ genannt.
Vom Brüllen ist nicht viel zu hören, als wir bei matten fünf Knoten aus Nordost über eine nahezu spiegelglatte See schleichen. Zwei ausnehmend hässliche Inseln erregen unsere Aufmerksamkeit. Kahl, karg und abweisend ragen sie aus dem Wasser. Und hässlich ist auch ihre Geschichte. Sveti Grgur und Otok Goli sind zwei ehemalige Gefängnisinseln. Eine Art kroatisches Alcatraz für politische Gefangene zur Tito-Zeit. Wir beschließen die näher gelegenere und grünere der beiden anzusteuern. Und staunen, als wir näher kommen: Die Uvala Sveti Grgur ist eine Schönheit. Klares, türkisfarbenes Wasser, duftende Pinienwälder, Grillenzirpen und bis auf ein kleines Polizeiboot kein einziges Boot vor Ort. Wir legen bei vier Meter Wassertiefe an der Mole an und beginnen unseren Rundgang. Der schmale, steinige Weg schlängelt sich vom Ufer durch ein kleines Tal zum Gipfel hinauf. Zunächst führt er an einer Bienenzucht vorbei, eine Hirschkuh spaziert – wenig scheu – zwischen den Pinien herum. Dann ist es mit der Idylle aber auch schon vorbei. Aus dem Unterholz schälen sich die verfallenen Baracken, in denen von 1948 bis 1988 tausende Kritikerinnen des kommunistischen Regimes gefangenen gehalten wurden. Der Anblick jagt uns einen kalten Schauer den Rücken hinunter. Die Natur hat sich ihren Lebensraum zurückerobert, Dächer sind eingestürzt, die Möbel längst Kleinholz. In einer der größeren Baracken rosten hunderte Bettgestelle vor sich hin. Am Gipfel prangt in riesigen, steinernen Lettern der Schriftzug „Tito“. Als die Bauxitvorräte auf der Insel zu Ende gingen, wurden die inhaftierten Regimegegnerinnen zum Steine-Klopfen verdonnert und mussten ihrem größten Feind ein Denkmal bauen – welch Perfidie.
Aus dem Restaurant Arta an der Anlege-Mole steigt uns verlockender Grillduft in die Nase, aber der Appetit ist uns vergangen. Wir schauen, dass wir weiter kommen, wollen rechtzeitig in Rab sein. Ein Pflichttermin steht an: Sonnenuntergang vom Glockenturm der Marienkirche beobachten. Nachdem auch das erledigt ist, fallen wir leicht erschöpft in die erstbeste offene Konoba. Dass es sich in Wirklichkeit um eine Tapas Bar handelt, ist uns egal. Naturgemäß sind die Portionen mini, aber das Gebotene mundet: Oktopus Carpaccio, Calamari-Salat, marinierte Pilze, Prsut. Zum Abschluss serviert Wirt Toni eine lokale Spezialität aus Mandeln, Orangen und Maraschino, die er mit einem Augenzwinkern als Geheimrezept seiner Großmutter anpreist. Lecker war sie jedenfalls – die Raber Torte, die es hier in jedem Market zu kaufen gibt …
Ab in den Süden
Am nächsten Tag frischt der Wind auf und bläst uns Richtung Süden. Nachdem es so flott dahin geht, beschließen wir nicht wie ursprünglich geplant Losinj anzusteuern, sondern lassen uns weiter nach Silba treiben.
Den gesamten Artikel lesen in der Yachtrevue 04/2014!