Aufbruch in den Osten
Segel-Kreuzfahrt. Der Viermaster Star Flyer steht für luxuriöses Segelvergnügen, bei einem Oneway-Törn von Athen nach Istanbul sind darüber hinaus maximale Abwechslung und kulturelle Vielfalt garantiert
Mit Mykonos verbinden wir, was wir definitiv nicht wollen: massenhaft Menschen am Strand und in der Ortschaft, überhöhte Preise, überdrehte Promis, Saufgelage und exzessive Partys. Damit haben wir nichts am Hut. Doch Ende April präsentiert sich der Kykladen-Klassiker von einer ganz anderen, sehr entspannten und sympathischen Seite. Wir haben uns von der Star Flyer, die direkt vor dem gleichnamigen Hauptort auf 20 Metern Tiefe vor Anker liegt, mit dem Shuttle-Boot in den alten Fischerhafen Mandraki bringen lassen und bummeln erst einmal durch die Altstadt. Schmale, gepflasterte Gassen, weiß gekalkte Häuser mit blitzblauen Fensterläden, schummrige kleine Kapellen, Boutiquen mit stilvollem Schnickschnack, dazwischen leuchtende Bougainvillea- und Oleander-Sträucher – diese Mischung kann man nur mögen. Nirgendwo herrscht Gedränge, das Touristen-Aufkommen ist überschaubar und so beginnen wir zu verstehen, was den Charme dieser Destination ausmacht. Nachdem wir auch den berühmten Windmühlen einen Besuch abgestattet haben, die einst landwirtschaftlich genutzt wurden und heute als Wahrzeichen von Mykonos gelten, schlendern wir zurück zum Hafen. In einer Bar direkt am Wasser, deren Veranda auf verwitterte, im Meer stehende Balken gestützt ist, genehmigen wir uns eine Runde Rosé. Little Venice heißt dieser Stadtteil und der Name ist Programm, denn die pittoreske Häuserzeile erinnert tatsächlich an die Lagunenstadt. Der Wein wird mit einem Spieß eisgekühlter Trauben serviert und kostet zehn Euro pro Glas, unbezahlbar ist der Blick auf die Star Flyer, die vor unseren Augen majestätisch im schillernden Blau schaukelt.
115 Meter misst ihr strahlend weißer Rumpf, die vier Masten können 16 Rah- und Stagsegel mit einer Gesamtfläche von über 3.000 m2 tragen. Die Barkantine bewegt sich so oft wie nur möglich mit der Kraft des Windes fort, angepeilt ist ein Cruising Speed zwischen sechs und acht Knoten. Erst wenn diese Marke nicht erreicht werden kann, hilft ein 1.360 PS starker Diesel-Doppelmotor mit. Das Schauspiel des Segel-Setzens haben wir gestern Abend beim Auslaufen aus Athen, dem Startpunkt unserer Reise, erstmals erlebt. Akustisch eindrücklich begleitet von der Vangelis-Hymne „Conquest of Paradise“, ließ die Crew mit Fallen, Schoten und Winschen eine offensichtlich bestens eingespielte Choreografie ablaufen, während wir mit Gänsehaut im Nacken an Deck standen, ergriffen in die weißen Tücher blickten, die vertrauten Bewegungen einer segelnden Yacht genossen und uns auf eine Route freuten, die uns durch die Meerenge der Dardanellen bis nach Istanbul führen soll.
Spirituelles Zwischenspiel
Vorerst bleiben wir aber in griechischen Gewässern. Unser nächster Stopp ist die zu den südlichen Sporaden zählende Insel Patmos, der Anker der Star Flyer fällt in einer geschützten, tiefen Bucht, die sich mittig ins langgestreckte Land schneidet und den Hafenort Skala beherbergt. Patmos ist quasi der Gegenentwurf zu Mykonos und seinen profanen Verlockungen, Standort des 1088 gegründeten Johannesklosters und ein wichtiger Wallfahrtsort für orthodoxe Christen. Wir hätten einen geführten Ausflug zu der mächtigen, von Zinnen gekrönten Anlage, die unübersehbar auf einem Berg oberhalb von Skala thront, buchen können, bevorzugen es aber alleine loszuziehen. Mit einer Kapazität von maximal 130 Gästen gestaltet sich das Leben auf der Star Flyer herrlich unbürokratisch und unkompliziert, die Beiboote sind laufend unterwegs und wer von Bord möchte, muss nicht lange warten. Mit ordentlichem Schuhwerk angetan, klettern wir in Skala auf die Mole, vertrauen unserer Intuition und finden am Ortsende prompt einen gepflasterten Weg, der uns in etwa 40 Minuten zu unserem Ziel hochbringt. Unterwegs treffen wir auf eine Pilgergruppe aus Deutschland, die sich auf einer schattigen Bank niedergelassen hat und einer Lesung aus dem letzten Buch des Neuen Testaments lauscht, der sogenannten Offenbarung, die angeblich vom Propheten Johannes in einer Höhle auf ebendiesem Hügel geschrieben wurde.