Artenvielfalt bei Panagiotis
Skipper-Typen. Zufallsbegegnungen unter dem Wellblech-Dach einer griechischen Taverne
Seine Lederhaut schützt Fredy offenbar vor UV-Strahlen wie der Panzer ein 50-jähriges Breitmaulnashorn vor Feinden. Nur ist er eben braun – nicht grau. Skipper Fredy verbringt neun von zwölf Monaten auf dem Wasser und ist trotzdem kein typischer Aussteiger. „Ich wurde ausgestiegen“, sagt er. Ein großer Verlag habe ihn in seinen besten Jahren auf die Straße gesetzt. „Ein frisch von der Uni geholter Betriebswirt hat mich in die Geschäftsführung beordert“, erzählt er. Heute kann er über die Worte des Yuppies herzlich lachen: „Herr Sallmoser, darf ich Alfred sagen? Es sind große Veränderungen im Anzug.“
„Große Veränderungen im Anzug“, lacht Fredy. „Zuerst dachte ich, er meint eine überraschende Erektion in seinem Nadelstreif. Doch dann hat er gesagt: „Wir müssen unseren gemeinsamen Workflow evaluieren“. Da ich ganz gut zwischen den Zeilen lesen kann, war sofort klar, was er will. Und dass da nichts zu retten ist: Egal, ob ich jetzt zu heulen beginn’, die blinde Oma erwähn’, den sterbenden Schwan spiel’ oder den Schnösel erschieß’. Also hab’ ich souverän geantwortet: Ich kenn’ Sie nicht, wir haben daher keinen gemeinsamen Workflow, wenn Sie befugt sind, mich rauszuschmeißen, eiern Sie gefälligst nicht so jämmerlich herum. Und binden Sie sich eine Krawatte um, von der Ihr Gegenüber keinen Augenkrebs bekommt!“
Laut Fredy soll der junge Mann in diesem Moment kurz überlegt haben, sich selber zu feuern. Doch Fredy half ihm auf die Sprünge: „Rüba mim Süba! Oder in Ihrer Diktion: Bringen Sie meine Abfertigung auf Schiene. Aber bitte zeitnah.“
Fredy wusste: Ab jetzt wird gesegelt.
Inzwischen ist er ein Profi, hat Wind, Wetter, Wellen und fast alle Crews im Griff. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich dem Kerl bin.“
So läuft es nicht für alle: Auch Rudi hatte sich einst Skipper nennen dürfen, bevor ihm seine Crew im ersten Hafen davonlief. „Wir haben die Taschen gepackt und sind in den Bus gestiegen“, erzählt Bertl, der inzwischen selber Skipper ist. „Sowas wollte ich mir nie wieder antun.“ Die tiefere Ursache für den Eklat: „Als Autofahrer schaltet Rudi zwanzig Meter vor der Kreuzung die Warnblinkanlage ein, weil er nicht weiß, ob er rechts oder links abbiegen will.“ Der unentschlossene Rudi habe aber zumindest doch eine gute Entscheidung getroffen: „Jetzt ist er Smutje“, weiß Bertl. „Seine Spezialität ist Eintopf. Da braucht er sich über die Zutaten keine Gedanken zu machen.“
Erstaunlich, welche Skipper-Typen einem an einem Dauerregentag in einer griechischen Hafen-Taverne begegnen. Besagter Bertl, ein Weinviertler Haudegen, brüstet sich damit, unfolgsame Mitsegler zu ohrfeigen ... und ich beschließe still und leise, nicht einmal die kleine Zehe auf sein Schiff zu setzen.
Auch um die Passarella von Rolf-Oke werde ich einen Bogen machen. „Ich habe einen dreißig-seitigen Crewvertrag aufgesetzt und lasse mir von je-dem ein-zel-nen Crewmitglied je-de ein-zel-ne Zeile per Unterschrift bestätigen“, berichtet er ... und ist stolz darauf. „Schaffen die es bis zum Heimflug, diesen Mist auszufüllen?“ will Fredy wissen. Rolf-Oke findet die Frage „gar nicht mal so witzig.“
Es folgt der Einwurf des Pinzgauers Edwin mit geschlecktem Mittelscheitel: „Ich lasse grundsätzlich keinen ans Ruder!“ Jetzt fragt Fredy, ob sich Edwin im Falle eines unwiderstehlichen Dranges ebenso grundsätzlich in die Hose pinkelt, oder ob er wenigstens dem Autopiloten vertraut. Edwin schweigt. Bertl rülpst.
Der Regen prasselt auf das Wellblech-Dach über der Veranda. Panagiotis bringt die vierte Runde Ouzo. Bertl rülpst erneut. Rolf-Oke empört sich darüber völlig überzogen. Wahrscheinlich ist striktes Rülpsverbot einer der Paragrafen seines dreißigseitigen Crewvertrags. Edwin ist inzwischen so blau, dass er sein geliebtes Steuerrad nicht mehr finden würde. Und ich genieße die mitternächtliche Regenpause, in der wir alle getrennte Wege gehen.