Ressort Rückenwind
In unserer Motorbilge schwappt Salzwasser. Ursache: Ein Korrosionsloch im Wärmetauscher. Wolf pappt zum x-ten Mal Epoxy auf die undichte Stelle und hofft, dass die Notreparatur bis Neuseeland hält. Tja, 18 Monate Unterwegs-Sein fordern ihren Tribut. Dinge gehen kaputt. Sie zerbröseln wie der Radarreflektor, sie lösen sich auf wie die Bodenbretter des neuen Dingis oder fliegen auf Nie-mehr-Wiedersehen davon wie die Drohne. Unser Kühlschrank funktioniert, dann wieder nicht. Genau wie das Radar, es geht vor Anker, nicht aber beim Segeln. Der Außenborder lässt sich schwer starten und stottert zeitweise. Seit Wochen leckt das Fenster über dem Kartentisch, doch bis zum nächsten Werft-Stopp muss „Capt. Tolley’s“ Wunderdichtmittel ausreichen. Und der Laptop, auf dem ich gerade tippe, zeigt im Hintergrund bunte Streifen. Manchmal kommt es uns vor, als würden die Pannen kein Ende nehmen.









 

Things break

Ressort Rückenwind
Mopelia, ein abgelegenes Atoll am westlichen Ende von Französisch-Polynesien,1995. Zeitalter ohne Plotter, Internet oder Apps. Wir hielten eine Papierseekarte mit vagen Tiefenangaben in der Hand und vertrauten darauf, dass wir mit unserer 9,50 Meter kleinen Susi Q die knifflige Einfahrt irgendwie schaffen würden. Anfangs lief alles gut, doch weiter drinnen, wo sich die Fahrrinne teilt, erwischten wir prompt die falsche, durch Korallen blockierte Abzweigung. Wolf riss die Pinne herum, Susi Q drehte viel zu langsam, die messerscharfe Riffkante kam verdammt nahe. Uiii, das war knapp. Also wieder retour und dem südlichen Kanal folgend hinein in die türkisfarbene Lagune. Und dann lag es vor uns. Das Paradies. Weiße, breite Strände mit überhängenden Palmen. Insgesamt drei Segelboote. Wir waren weit, weit weg von allem. Auch innerlich. Unsere Gedanken zappelten nicht. Wir waren mit Körper und Geist dort. In der Südsee.









 

Einst und jetzt

Ressort Rückenwind
Tahanea ist himmlisch. Nomad schwebt auf der sonnendurchfluteten Lagune, Palmen wiegen sich sanft im Wind, am Außenriff zerschellen Wellen wie weißes Glas. Ich schließe die Augen, lausche der Musik des Atolls und atme den süßlichen Geruch der Tiare-Blüten. Oft schnorcheln wir, dann tut sich direkt unter der Wasseroberfläche ein fremdes Universum auf. Papageienfische, Doktorfische, Zackenbarsche. Ein riesiger Napoleonfisch mustert uns mit rollenden Augen, ein Schwarzspitzenhai zieht elegant vorbei. Oder wir sammeln Muscheln und Schnecken in Schokobraun, Currygelb und Marzipanrosa. Wir genießen Sonnenuntergänge, machen Lagerfeuer am Strand, spazieren bei Vollmond um die Insel. All das.









 

Himmel und Hölle

Ressort Rückenwind
Ein paar Konstanten gibt es ja doch im Leben und dazu gehört der Schlaf. Wer zu wenig schläft, verkümmert. Wer zu lange wach ist, wird ­aggressiv, depressiv oder krank und ab einem gewissen Punkt schlicht­weg wahnsinnig. Überrascht lese ich daher im Zeit Magazin, dass die Schauspielerin Sydney Sweetney, 26, über einen längeren Zeitraum mit sehr wenig Schlaf auskommen kann, teils mit nur zwei Stunden. Sydneys Energie könnte ich gerade gut brauchen. Fühle mich erschöpft, gleichzeitig überdreht, nehme alles überzeichnet wahr. Seit knapp zwei Wochen segeln wir über den endlosen Pazifik. Wir befinden uns auf halber Strecke zwischen Mexiko und Französisch Polynesien und ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Vielleicht ist es zwei Uhr nachts, vielleicht hat sich die Zeit aber auch verschoben, nach vorne oder nach hinten, wer weiß. Oft schrecke ich aus dem Tiefschlaf auf, rufe nach Wolf, der entspannt im Cockpit sitzt und liest. Verwirrt stehe ich dann im Niedergang. Es ist ein sonderbar intensives Gefühl, sich übers Meer tragen zu lassen, fernab von allem.









 

Auf See

Ressort Rückenwind
Seit 35 Jahren segeln wir über die Weltmeere, bis vor kurzem als eines der wenigen Fahrtenschiffe ohne Wassermacher an Bord. Irgendwo fanden wir immer einen Wasserhahn, an dem wir unsere Kanister füllen konnten, und jeder tropische Regenguss toppte in Rekordzeit die Wassertanks auf. Doch bei unserem letzten Besuch auf den Tuamotu Atollen fiel wochenlang kein Tropfen Niederschlag, die Regen-Auffangplane konnten wir getrost wegpacken. Egal, wie sparsam wir mit dem kostbaren Nass haushalten, nach sechs Wochen sind unsere 250 Liter fassenden Tanks leer. Damals kostete es uns viel Überwindung, das Nachbarboot um Wasser zu bitten. Seitdem gefiel uns die Vorstellung, aus Salzwasser Trinkwasser produzieren zu können, immer besser. Und in Zeiten des Klimawandels gewinnt Unabhängigkeit ganz klar an Bedeutung.









 

H2O

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In den letzten beiden Jahren haben Wolf und ich eine Art Doppelleben geführt und versucht, zwei Welten miteinander zu verbinden. Im Winter arbeiteten wir in Österreich, im Sommer verzogen wir uns auf unser schwimmendes Zuhause. Viele Segler machen das so. Es scheint, als ob die Spezies der klassischen Weltumsegler schwinden würde, hoch im Kurs steht Splitting, also kürzere Aufenthalte am Boot und regelmäßige Zwischenstopps in der Heimat, um den Anschluss nicht zu verlieren. Doch irgendwie fühlten wir uns bei diesem Hin und Her zerrissen. Nicht Fisch, nicht Fleisch. So reifte die Entscheidung, diesen Winter am Boot zu bleiben. Je älter man ist, desto wertvoller wird die Zeit, sagten wir uns. Man lebt nur einmal.









 

Überwintern

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Es mag lächerlich wirken, sich in Zeiten wie diesen über Kleinigkeiten aufzuregen. Ich sage nur: Krieg, Klimawandel, Rezession. Die Welt steht in Flammen, und ich mokiere mich darüber, dass die online erstandene Prepaid-SIM-Karte in unserem Handy nicht funktioniert. Und das im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Mich ärgern Dinge, die nicht tun, was sie tun sollen. Wir tricksen rum, aktivieren die Nummer im Handy einer Freundin, probieren die SIM-Karte in unserem Reserve-Mobiltelefon. Nichts passiert. Es kommt nur die Meldung, dass unsere Geräte zu alt seien. Warum ist alles so kompliziert geworden? Heute läuft ohne Handy nichts mehr geschmeidig – auch und schon gar nicht auf Reisen. Also fahren wir mit dem Mietwagen 60 km in die nächste Stadt, stapfen in einen Telefonshop und sind kurz darauf wieder verbunden mit der großen weiten Welt. Ganz einfach.









 

Online Shopping

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Dieser Sommer war weltweit viel zu heiß und viel zu trocken. Selbst im sonst regenreichen British Columbia gab es wochenlang keinen Niederschlag, dafür ausgetrocknete Quellen, brutale Hitze und schreckliche Feuer. Die Regierung rief den Notstand aus, ließ wegen der Waldbrände Straßen sperren, Dörfer evakuieren und verordnete Wasserrestriktionen. Am öffentlichen Anleger in Tofino war der Wasserhahn abgesperrt, ebenso die Duschen und Toiletten am Strand. Zu der Anomalie der Lufttemperaturen kommt noch jene des Meerwassers. Die Oberfläche der Ozeane ist seit Mitte März wärmer als je von Satelliten gemessen wurde. Außerdem baut sich im Pazifik das hitzeträchtige Wetterphänomen El Niño auf. Meteo France warnt vor einem „Super El Niño“ mit großer Hurrikanwahrscheinlichkeit in Französisch Polynesien, wo die letzten zehn Jahre kein einziger Zyklon wütete. Sogar das Schleusen durch den Panamakanal ist ins Stocken geraten. 126 Frachter warteten Ende August auf die Passage, weil der Wasserspiegel im Gatunsee auf ein historisches Tief gesunken war.









 

Heiß

Ressort Rückenwind
Wie lang muss eine Ozeanetappe sein, damit sie zu einem bleibenden Erlebnis wird? Wie stark der Wind? Braucht es unbedingt Kap Hoorn oder die Nordwestpassage, um ein Seglerleben vollständig zu machen? Und taugen Seemeilen und Beaufort überhaupt als skalierbarer Maßstab für das Glück eines Seglers, einer Seglerin? Oder lernen wir über diese Parameter nur, dass der Sinn des Lebens eine relative Größe ist? Weil weit und viel segeln nicht prinzipiell bedeutet auch glücklich zu leben? Reflexionen dieser Art beschäftigten mich, als wir nachts über die Hecate Strait bretterten, ein berüchtigtes Seegebiet in British Columbia, flach, strömungsgeplagt und gerne stürmisch. Mich beschenken Ozeane mit einem Reichtum an Perspektiven wie kein anderer Ort dieser Welt.









 

Über Entscheidungen

Ressort Rückenwind
Warum segeln wir über die Ozeane? Auf diese Frage gibt es vermutlich so viele Antworten wie Menschen. Jeder hat seine Geschichte, seine Sehnsüchte, sein persönliches Warum. Segeln ist von Natur aus eher leise als laut, hat viel mit Rückzug zu tun. Uns treibt auch die Einfachheit aufs Meer. Das Reduzieren auf das Wesentliche, das Entschlacken von einem Zuviel an allem. Auf See beschränken sich die Variablen des Lebens auf Wind, Wetter und unser Können. Natürlich müssen wir auch im maritimen Kosmos agieren und funktionieren.









 

Maritimer Kosmos