Überwintern

In den letzten beiden Jahren haben Wolf und ich eine Art Doppelleben geführt und versucht, zwei Welten miteinander zu verbinden. Im Winter arbeiteten wir in Österreich, im Sommer verzogen wir uns auf unser schwimmendes Zuhause. Viele Segler machen das so. Es scheint, als ob die Spezies der klassischen Weltumsegler schwinden würde, hoch im Kurs steht Splitting, also kürzere Aufenthalte am Boot und regelmäßige Zwischenstopps in der Heimat, um den Anschluss nicht zu verlieren. Doch irgendwie fühlten wir uns bei diesem Hin und Her zerrissen. Nicht Fisch, nicht Fleisch. So reifte die Entscheidung, diesen Winter am Boot zu bleiben. Je älter man ist, desto wertvoller wird die Zeit, sagten wir uns. Man lebt nur einmal.

Als Winterflüchtlinge fädelten wir uns in Kalifornien in den jährlichen Zug der Snowbirds ein, so nennen die Amerikaner die Segel- und Motorboote, die jeden Herbst nach Süden schippern, um in wärmeren Gefilden zu überwintern. Mexiko heißt das ersehnte Ziel. Für manche Schneevögel ist dieser Törn die erste große Reise. Man spürt die Aufbruchsstimmung, ihre Aufregung, aber auch Unsicherheit. Die kanadische Dschunke Leeway hangelt sich von Marina zu Marina, weil Ankern noch zu gefährlich erscheint. Die Whiskey Jack läuft mit abgerissenem Auspuffkrümmer und überflutetem Motorraum in Ensenada ein. Eine Nicholson 38 stolpert über eine Untiefe in der Einfahrt zur Bahia Tortugas und sinkt – trotz Profi-Skipper an Bord.Unvorhersehbarkeiten und Überraschungen am laufenden Band. Stoff, aus dem Seemannsgarn gesponnen wird.

Ich frage mich insgeheim, ob uns der Winter fehlen wird. Das lautlose Fallen der Schneeflocken, das Knirschen unter den Sohlen, die verschneiten Berge, die Skitouren. Aber Binsenweisheit: Jede Veränderung hat ihren Preis. Für Neues muss man Altes zurücklassen. Winter in Mexiko. Was für ein Glück.