Silberrücken versus Grünschnabel
Neue Welle. Im Wechselbad zwischen Alterssturheit, Vernunft und Scheinheiligkeit.
Oh, mein Poseidon: Wie spielerisch leicht war es doch dereinst, Lebensmittel für einen Männertörn zu bunkern! Sechs Paletten Bier, für jeden eine Flasche Wein (pro Tag), ein Haufen Käsekrainer, zwei Kilo G‘selchtes, Spaghetti und Tunfischdosen. Vielleicht ein paar Salzkekse, fünf Bananen und eine Flasche Coca Cola für eventuell Seekranke. Ein großes Glas Maxwell Instant-Kaffee extra stark, zehn große Tafeln Milka Schokolade, zwei Dutzend Eier fürs Frühstück, sowie ziegelweise Butter, Käse und Speck.
Derjenige, der sich beim Begrüßungsumtrunk am wenigsten beschädigt hatte, wurde in der Früh um frisches Brot geschickt. Alle übrigen Lebensmittel wurden als „unnötiger Salat“ bezeichnet und von Haus aus als „Weiberkram“ abgetan. Müsli war unter Androhung gesellschaftlicher Ächtung generell verboten. Wenn wir Glück hatten, bemerkte vor dem Auslaufen einer, dass wir das Trinkwasser vergessen hatten.
Ach, wie schön war das damals!
Heute ist die Liste der Allergene länger als jede Speisekarte. Schlagworte wie Gesundheitsbewusstsein, Ernährungsstrategie, Nachhaltigkeit, Fair Trade oder Bodenhaltung torpedieren meine Einkaufsliste. Das Image jener Silberrücken, die trotz traditioneller Ernährung überraschenderweise überlebt haben und dabei in die Jahre gekommen sind, ist schwer beschädigt.
Der gemeine Grünschnabel der „next generation“, der täglich spaßbereinigt an seiner Lebenserwartung feilt, lacht nicht einmal über echte Schenkelklopfer wie…
„Weißt du, was in der Sprache der Apachen ‚unfähiger Jäger‘ heißt? Veganer!“
Oder: „Ich bin indirekter Vegetarier: Die Kuh frisst das Gras. Und ich fresse die Kuh!“
Oder: „Was bestellt sich ein Veganer in einem Steakhaus? Ein Taxi!“
Jene Seebären, die über Jahrzehnte zwischen Krk und Kos, zwischen Malaga und Marmaris die Wellen markiert haben, gelten plötzlich als zum Aussterben verurteilte Ichthyosaurier. Das Bunkern, Speichern oder Puffern einer Yacht hat inzwischen apokalyptische Züge angenommen. Nach jedem Einkauf überfluten bierernste Themen den Salon:
„Du weißt schon, dass auch alkoholfreies Bier Unmengen an Kalorien und sogar etwas Alkohol hat!“
„Dinkel-Vollkorn-Müsli ohne gebleichte Rosinen wär‘ mir lieber gewesen.“
„Oje, habt ihr keine laktosefreie Haltbar-Leichtmilch bekommen?“
„Die Zucchinis könnt ihr gleich entsorgen. Ich krieg‘ einen allergischen Schock, wenn sie sich im selben Raum befinden.“
„Scheiße, in der Sojawurst sind Konservierungsmittel!“
„Und wo ist mein treibgasfreies Bio-Desinfektionsspray für die Bettwäsche?“
„Habt ihr nicht einmal koffeinfreie Kapseln bekommen, wenn ich schon die Espresso-Maschine mitgeschleppt habe?“
„Von Olivenöl bekomme ich Migräne, wenn es nicht kaltgepresst ist.“
„Die Fetuccini aus Weißmehl sind aber nicht euer Ernst. Wollt ihr mich umbringen?“
„Nur Sonnenschutzfaktor 50? Da können wir ja gleich nach Fukushima segeln!“
„Euch ist offenbar nicht bewusst, wie viele Delfine für eine einzige Tunfischdose ihr Leben lassen müssen.“
„Frag‘ den Hafenkapitän, wann morgen ein Bäcker offen hat, der glutenfreies Brot macht.“
Nein, ich werde ihn nicht fragen! Frag‘ ihn, verflucht und zugenäht, selber. Aber sag‘ bitte nicht, dass du zu meiner Crew gehörst. Wenn du Glück hast, lacht er dich nur aus und ruft nicht gleich den psychiatrischen Notdienst. Ich geh‘ inzwischen in die verrauchte Spelunke beim Fischereihafen auf einen vierfachen Rum. Und auf vier Spiegeleier von unglücklichen Hühnern, weil ich langsam depressiv werde. Und ich erwarte, dass ihr inzwischen die vierundvierzig Plastiksackerln, mit denen ihr eure gesunden Naturheilmittel an Bord geschafft habt, vernünftig und nachhaltig entsorgt, beim Poseidon!