Stierwende und Genderknoten

Kolumne Jürgen Preusser: : POB geht schlicht und einfach zu weit

Jürgen Preusser stellt sich die Geschlechterfrage

Jürgen Preusser stellt sich die Geschlechterfrage

Anton, der nicht mehr Toni genannt werden darf, seit er Generaldirektor ist, stand fassungslos am Kartentisch. „Sie haben es also tatsächlich getan“, sagte er stimmlos und seine Kapitulation war geradezu körperlich spürbar. Zwanzig Jahre lang war Toni, sorry, Anton, bei unserem traditionellen Herrentörn nicht mehr dabei gewesen, weil er eben Karriere machen musste, jetzt feierte er ein Comeback. Seine Fassungslosigkeit wurde von einer aus drei Buchstaben bestehenden Abkürzung ausgelöst und war keineswegs vorgespielt wie jene in diversen Vorstandssitzungen.
POB stand da. Einfach nur POB. Und dann auch noch PüB, in der deutschen Gebrauchsanweisung des digitalen Funkgeräts. Person overboard beziehungsweise Person über Bord.
Änderung der Formulare, Gender-Mainstreaming, Proteste von Mitarbeiterinnen beim Betriebsrat, sogar spezielle Nachschulungen für besonders resistente Machos – all das habe er in seinem Unternehmen geduldig und mann/frauhaft nicht nur ertragen, sondern aus Überzeugung durchgesetzt. „Aber PüB“, krächzte er, „PüB ist das mit Abstand Dämlichste, was ich jemals gehört habe!“
„Vorsicht! Dämlich sagt man nicht“, blendete sich Stephan ein. „Richtigerweise muss es herrlich heißen.“ Nun ist ein Männertörn zugegebenermaßen nicht unbedingt das Forum Alpbach für Gender-Fragen. Aber jene, die die MüB-Taste in PüB-Taste umtauften, haben sicher auch nur geblödelt.
„Warum“, so fragte Anton, „warum, zur Teufelin, haben sie nicht einfach das MüB beibehalten. Mensch über Bord ist doch eh logisch, oder?“ Darauf wäre ich nie gekommen. Darum, so dachte ich, ist er GeneraldirektorIn und ich nur einfache/r MitarbeiterIn.
„Wenn schon PüB, dann wenigstens auch Stierwende“, bemerkte Stephan und erntete dafür verständnislose Blicke. „Na Kuhwende ist sicher auch nicht mehr korrekt, oder?“ Stephan, das muss man in diesem Zusammenhang wissen, ist Gender-Beauftragter eines großen Sportvereins, wobei sein diesbezügliches Engagement bei uns an Bord normalerweise ruhend gestellt ist.
„Könnt ihr Säcke bitte für ein kleines Manöver rauf kommen“, brüllte Steuermann Georg, der inzwischen der einzige an Deck war, weil sich der Rest der Crew zur Gender-Diskussion am Kartentisch versammelt hatte. „Säcke will ich überhört haben“, rief Anton zurück, der nur sehr langsam zurück zum Toni mutierte.
An Deck mussten wir feststellen, dass sich Georg bei sieben Knoten Fahrt mit der stehenden Peilung zum 250 Meter langen italienischen Flugzeugträger Cavour auseinandersetzen musste, nachdem er sich mit dem Abfallen zu lange Zeit gelassen hatte. „Funk ihn an und sag ihm, er soll ausweichen“, meinte Stephan zu Anton, der am Kartentisch sitzengeblieben war. „Und meld dich bitte korrekt. Etwa so: Liebe Flugzeugträger und Flugzeugträgerinnen!“
Angesichts des Umstandes, dass der glorreiche Sieg der österreichischen gegen die italienische Flotte in der Seeschlacht von Lissa* eineinhalb Jahrhunderte zurückliegt und aus Rücksicht auf die seit 1866 geringfügig zu unserem Ungunsten verschobenen Machtverhältnisse zogen wir einem solchen Funkspruch dann doch die Wende vor.
Vier Stunden später beim Anlegemanöver: „Anton, machst du bitte die Fender?“ Anton, wie gesagt seit zwanzig Jahren nicht mehr dabei, wandte sich peinlich berührt an mich. „Hilf mir“, flüsterte er und grinste irgendwie verschmitzt. „Ich weiß nicht einmal mehr, wie der Gender-Knoten geht …“
Seither heißt er wieder Toni.

*heute: Insel Vis; Kroatien.

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