Segel für das Volk
Worauf man beim Kauf von Dacron-Segeln achten sollte, welche Rolle Material und Schnitt spielen und wie man damit umgehen sollte, um möglichst lange Freude daran zu haben
Es ist kurios. Die große Mehrzahl aller verkauften Segel bestehen aus einem Polyestergewebe, gemeinhin als Dacron (= Markenname des Chemiekonzerns Dupont) bezeichnet – zu lesen gibt es darüber aber auch in den Fachmagazinen wenig. Omnipräsent sind vielmehr teure High-Tech-Membransegel, wie sie vor allem im hochklassigen Regattabereich verwendet werden. Nun ist ein Transfer vom Spitzen- zum Breitensport auf vielen Ebenen üblich und auch sinnvoll, für die Segelgarderobe gilt das hingegen nur in sehr beschränktem Maß. Denn an ein normales Fahrtensegel werden ganz andere Anforderungen gestellt als an ein Rennsegel. Maximal hohe Formstabilität ist in der Regel weniger bedeutend, wichtiger sind Segelkomfort, gutes Preis-Leistungsverhältnis, hohe absolute Lebensdauer und Robustheit. Aus diesem Profil folgt, dass Polyestersegel für den Großteil der Segelgemeinde eine gute, wenn nicht die beste Wahl sind. Allerdings sollte man nicht die Katze im Sack kaufen, sondern einem namhaften Segelmacher vertrauen, der sowohl gute Beratung als auch gutes Grundmaterial bieten kann. Der Markt wird nämlich seit Jahren mit billigen, aber minderwertigen Polyestertüchern überflutet, die vornehmlich aus Asien stammen und für einen Laien nicht von Qualitätsprodukten zu unterscheiden sind.
Gewebe
Die heimischen Segelmacher, die hier zu Wort kommen, verarbeiten ausschließlich hochwertiges Segeltuch, das sie von renommierten Herstellern beziehen. Hauptlieferanten sind Dimension Polyant und Contender. North Sails hat darüberhinaus diverse Eigenentwicklungen im Programm. Robert Kühnen, Vertriebs- und Marketingchef von Dimension Polyant, ortet einen seit Jahren anhaltenden Trend zu Qualitätsware. Die Güte eines Tuchs wird bestimmt von hochfesten Polyestergarnen, aufwendiger Verarbeitung und sorgfältiger Webtechnik. Letztere hat maßgeblichen Anteil am Einsatzbereich des Tuches. Dazu muss man folgendes wissen: Jedes Gewebe besteht aus Kett- und Schussfäden. Die Schussfäden liegen parallel zur Webkante in Längsrichtung nebeneinander, die Kettfäden laufen quer und schlingen sich quasi um die Schussfäden herum. Ein gewebtes Segeltuch ist daher in Schussrichtung sehr stabil, in Kettrichtung etwas weniger. Am schlechtesten hält es diagonalen Belastungen stand. Mittels spezieller Webtechniken gelingt es den Tuchherstellern aber, das Material punktgenau auf spezifische Anforderungen hin zu optimieren.
– Balanciertes Gewebe: Sehr eng gewebtes AP-Tuch (All Purpose) mit besonders breitem Anwendungsbereich. Ist in Schuss- und Kettrichtung gleichermaßen stabil und verfügt auch in der Diagonalen über akzeptable Dehnungswerte. In erster Linie für Segel im Horizontalschnitt im Einsatz.
– High Aspect Tuch: Stark schussorientiertes Gewebe, das bei schlanken, hohen, horizontal geschnittenen Segeln mit einem Verhältnis von 3:1 zwischen Vor- und Unterliek zum Einsatz kommt. Grund: Wegen der hohen Achterliek-Spannung muss das Material in Schussrichtung besonders stabil sein, die Kettdehnung spielt nur eine untergeordnete Rolle. – Low Aspect Tuch: Mäßig schussorientiertes Material, Einsatz bei horizontal geschnittenen Segeln (2:1), wie überlappende Genuas oder Großsegel. Gewebestruktur soll verhindern, dass das Segel in Kettrichtung nachgibt und damit zu bauchig wird.
– Pro Radial: Gewebe des weltgrößten Tuchherstellers Dimension Polyant, das kaum Crimp (= Dehnung aufgrund der Ketteinarbeitung) aufweist und daher für den Radialschnitt besonders gut geeignet ist. Kostet rund 20 Prozent mehr als ein balanciertes Tuch, ist erst ab einem Gewicht von 280 Gramm erhältlich und damit nur für Yachten ab etwa 30 Fuß einsetzbar.
– Square-Tücher: Sinnvolle Alternative zu Pro Radial und auch auf kleineren Yachten einsetzbar. Optisch erkennbar am Ripstop-Muster, das durch dickere, zweifach in Kett- und Schussrichtung eingewebte Garne entsteht.
– NorDac Radian: Eigenentwicklung von North Sails. Kettorientiertes Tuch, das nach einem patentierten Verfahren hergestellt wird, wobei Webdichte und -richtung, Größe, Beschaffenheit sowie Verhältnis von Schuss- zu Kettgarn genau definiert sind. Einsatz bei One-Design- sowie hochwertigen Cruising-Segeln im Radialschnitt.
– North 3Di Nordac: Ebenfalls Eigenentwicklung von North, die vor drei Jahren präsentiert wurde. Besteht nicht aus Gewebe, sondern wird in dem patentierten 3Di-Verfahren hergestellt. Dabei werden Polyesterfilamente mit Duroplast-Klebstoff getränkt, auf einer dreidimensionalen Form ausgerollt und unter Vakuum und Hitze ausgehärtet. Durch die lastorientierte Ausrichtung der Filamente hat dieses Segel eine sehr hohe Formstabilität und ist besonders langlebig. Idealer Einsatzbereich sind windreiche Reviere.
Harz
Die unterschiedlichen Webarten definieren die grundsätzlichen Eigenschaften des Tuches. Diese werden durch den Ausrüstungsprozess noch verstärkt. Regattatücher werden stark geharzt, Cruising-Tücher weniger, beide danach mit einer temperierten Walze gepresst. Zuletzt wird das Polystergewebe auf 150 bis 220 Grad erhitzt, wodurch es rund fünf bis acht Prozent an Volumen verliert; dieser kontrollierte Schrumpfungsprozess führt zur finalen Verdichtung des Tuchs.
Für Tourensegler sind stark geharzte, steife Regattatücher nicht geeignet. Sie müssen stets gerollt werden und dürfen nicht knicken, sonst entsteht Weißbruch. Fahrtensegel sind weniger stark geharzt, entsprechend weicher und viel besser im Lazybag zu verstauen. Weiches Tuch steht übrigens auf Grund der guten Handhabung ganz oben auf der Wunschliste vieler Freizeit-Skipper.