Liebe auf den zweiten Blick
Mit etwas Phantasie lässt sich das vielseitige Revier Dalmatien immer wieder neu entdecken
Bekanntgabe des Törn-Ziels: „Kroatien. Ausgangshafen Biograd“. Reaktion: „Geh bitte! Nicht schon wieder. Ich kenn’ dort jeden Stein.“
Wenn die Crew mit derartigem Enthusiasmus an die Sache herangeht, muss ich mir als Skipper etwas einfallen lassen: „Keiner kennt jeden Stein, keiner hat alle 1.244 Inseln und registrierte Felsen bereist. Vielleicht gibt es einen Freak, der auf allen 47 bewohnten Inseln war, aber sicher niemand von euch!“
Okay, die Message ist durch: Wir segeln dorthin, wo wir bisher nur negative oder gar keine Erfahrungen gemacht haben. Wir revidieren Vorurteile, ergründen Neues. Wir suchen die Liebe auf den zweiten Blick.
Das heißt: Nix Piskera, Ravni Žakan und Lavsa. Nix Molat, Olib und Ilovik. Wir pfeifen auf Iž Veli und damit auf die weltbesten Steaks. Wir lassen Žut links liegen. Wir fahren zwar nach Vis, aber nicht in die gleichnamige Stadt und verzichten so auch auf die weltbesten Scampi Buzara. Wir lassen die Palmižana Palmižana sein samt den weltbesten Goldbrassen. Wir umschiffen die Stadt Hvar und damit auch die weltbeste Lammkeule. Nix Brač, Primošten, Vodice, Trogir samt den weltbesten Palatschinken. Nix Korčula Altstadt mit dem weltbesten Gemüsemarkt (weibliche Wahrnehmung), nix Korčula Lumbarda mit dem weltbesten Jetski-Verleih (männliche Wahrnehmung).
Wir schaffen Kroatien ohne Hotspots.
Also: Auf in die Pantera. Die große Bucht im Nordwesten von Dugi Otok hat sich eine zweite Chance verdient. 35 Meilen ab Biograd – bei 18 Knoten Westwind, Sonne und ohne Welle. Nach sechs Stunden haben wir Molat querab. Ein Urgestein unserer Crew ist verdächtig ruhig. Um nicht aufzufallen wäscht er sogar Geschirr. Ist er nicht derjenige, der vor fünfzehn Jahren das Riff vor der Bucht ignoriert und so unfreiwillig den Muschelbewuchs vom Kiel entfernt hat?
Zur Abschreckung besuchen wir zuerst das berühmte Wrack eines italienischen Frachters, das seit 1984 vor sich hin rottet. Es liegt unmittelbar nördlich der Insel Veli Lagan (übrigens die Nummer 402 auf der Flächenrangliste der kroatischen Inseln) auf sechs Meter Wassertiefe. „Mein Gott, sind wir alt geworden!“ seufzt einer beim Anblick von ein paar rostigen Planken und einem Mast.
Wie viel von dem Frachter einst zu sehen war, veranschaulicht uns am selben Abend ein Wandgemälde im Restaurant „Lanterna“. Dorthin gelangen wir nach großräumiger Umfahrung des grünen Feuers am südlichen Ende des Riffs. Zwei Schiffe liegen in der an sich wunderbaren Ankerbucht an Bojen. Da es gerade finster wird, fällt mir ein, was uns hier vor Jahren gestört hat: Das Feuer des vierzig Meter hohen Leuchtturms Veli Rat blitzte indirekt auch in der Bucht. Das hat sich zum Guten verändert, da die Macchia dichter und höher geworden ist.
Trotzdem entscheiden wir uns für einen der 200 Liegeplätze der relativ neuen Marina, wo wir rudimentär freundlich um die Schiffspapiere gebeten und schroff darauf hingewiesen werden, diese während der Geschäftszeiten und gefälligst nicht irgendwann in der Nacht abzuholen. 70 Euro für ein 16-Meter-Schiff – vielleicht ist wenigstens der Kellner im „Lanterna“ freundlich.
Ist er nicht, obwohl wir nach dem Abendspaziergang ausreichend Hunger mitbringen. Wir fragen ihn, ob es eventuell einen Ersatzmann für ihn gäbe. Leider nein, doch das sehr gut aufgelegte Ersatzfräulein und der Koch machen ihn samt Marinero wett. Wer Alternativen zum Lanterna sucht, muss einen weiten Marsch auf sich nehmen: Ein paar Lokale liegen auf dem anderen Ufer der Bucht. Am besten man überzeugt einen Fischer davon, dass er in Wahrheit Taxler ist. Oder segelt in die Uvala Sakarun an der westlichen Außenseite von Dugi Otok. Dort liegt man zwar nur bei Bora oder Windstille ruhig, jedoch an Bojen, denn Ankern ist verboten. Außerdem haben wir keine Papiere – und keiner traut sich außerhalb der Geschäftszeiten danach zu fragen.
Abgesehen von minimalen Verstimmungen ist die Pantera samt Marina eine Traumbucht geblieben. Sollten die nächtlichen Schreie der Möwen tatsächlich ein Vorzeichen für starken Scirocco sein, wie ein verhaltensorigineller schwedischer Yachtie orakelt, dann erwarten wir einen wahren Südsturm. Der heißt wohl Kassandrason, der Witzbold.
Um 6 Uhr früh nehme ich alles zurück: Der Jugo bläst höchst ambitioniert. Wir beschließen innerhalb der Inseln zu segeln. Zu viel Welle schon am zweiten Tag ist ungesund. 18 Meilen Richtung Südost bei 36 Knoten Wind aus Südost und Sprühregen – man spare sich die Polare-Rechnerei. Wir haben zehn Stunden gebraucht. Und waren mächtig stolz darauf.
Info vom Insider
Beim Festmachen im engen Hafen von Sali, mit 1.500 Einwohnern der größte Ort auf Dugi Otok, hilft uns ein sehr freundlicher Herr. Wir wollen ihm die Papiere geben, er sagt, er sei nur Passant. Einer der gut informierten Sorte, wie sich zeigt: 50 Liegeplätze soll es geben, 25-Meter-Boote dürfen wegen der teilweise geringen Wassertiefe und dem beschränkten Manövrierraum nicht herein. Irgendwo in diesem Hafenbecken liegt die einzige teure Sonnenbrille, die ich mir je geleistet habe. Prominentestes Opfer meiner Nervosität beim Prüfungstörn vor zig Jahren.
Der freiwillige Fremdenführer erzählt, dass er ein Pensionist aus Zagreb sei und von Mai bis Oktober in Sali lebe.