Golf von Triest

Wo die Adriaküste den Bogen schlägt, wartet ein Revier auf Neuentdeckung

Oben, am Kamme des ragenden Felsens, lustwandelte Rilke, lauschend der Botschaft des blasenden Windes: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?“, glaubte er im Wind zu hören und hatte damit den ersten Vers seiner Duineser Elegien aus der Luft gegriffen. Am Rest des kurzen, tiefen Werkes sollte sich Rilke ein Jahrzehnt lang abarbeiten. Dass die erste Elegie, voll des „dunkelen Schluchzens“ und luzider Entrücktheit, des Gesanges über die Unsagbarkeit der Welt und der Gefühle auf Schloss Duino entstanden ist, lässt sich nachvollziehen. Es muss ein Ort der Kraft sein.
Ein letzter massiver Block bildet den Schlussstein einer lang gezogenen Felswand, wonach das Land über hunderte Küstenkilometer flach hingebreitet liegt. Auf dem Fels ruht das Kastell als mächtiger Wächter mit zinnenbewehrten Türmen. Wir dürfen annehmen, dass die Fürstin von Thurn und Taxis-Hohenlohe, die den Dichter bewundernde Gastgeberin, Rilke ein Zimmer Richtung Meer gegeben hatte. Mit Blick über den Golf von Triest und an klaren Wintertagen möglicherweise bis Venedig. Über ein Meer, das zu Zeiten still und blau dalag, sanft gekräuselt und glitzernd in der Sonne, darauf Dampf- und Segelschiffe ihre Spuren zogen und dazwischen eine schüttere Flotte schwankender, bunter Fischerboote hingetupft lag. An anderen Tagen ein furioses Ungeheuer war, das mit tosenden Wogen an die Felsen donnerte, um zu Fontänen und Wolken aus Gischt zu zerstäuben und sogar nach der Luft, dem Meer das unerreichbare Element, zu fassen. Eine dramatische, romantische Szenerie, die jedes Herz, das nicht verknöchert ist, erreichen muss, und jedem, dem gegeben ist, die Welt zu spüren, mit großen Gedanken erfüllen wird. Eine zweite, dem Duino einzige vergleichbare Warte, befindet sich nur eine kurze Fahrt entfernt: Miramar, die Klause der „Kaiserin“ Sisi, die mit Schwermut beladen war und erhebende Aussicht bitter nötig hatte.
Den Golf von Triest kennen die meisten von uns Nachgeborenen nicht als Quell der Erbauung und Inspiration, sondern als das Meer in der falschen Richtung. Als insel- und buchtenleeres, für Bootsreisende mithin zweitklassiges Wasser. Als Großschiffs- und Starkverkehrsrevier. Möglicherweise auch als jenes Feld, in dem die glückliche Rettung von Fendern bei Übungsmanövern gefeiert und die entscheidende Schlacht des Prüfungstörns erfolgreich geschlagen werden konnte.
Dieses Meer ist voll der Poesie. Um es zu entdecken, muss man ein paar Tage nur investieren und suchend nordwestwärts steuern, statt sich, wie üblich, in der Inselwelt des Südens zu verlieren.

Faro della Vittoria, der prachtvollste Leuchtturm der Adria, weist den Weg nach Triest. Die historische Bedeutung als mächtiger Hafen der Kriegsmarine und der Handelsflotten, als Vorposten eines den Kontinent überspannenden Reiches, als Pumpstation für Öl ist omnipräsent. Doch sanft gleitet die Stadt in ein Dämmerreich, das zwischen dem gewöhnlichen urbanen Leben und einem Museum ihrer selbst liegt. Die Bevölkerungszahl ist heute die geringste seit der Zählung 1910. Triest lebt mehr in der Vergangenheit als für die Zukunft, seine Bewohner sind durchschnittlich an die 44 Jahre alt. Menschen rücken ab, die Gebäude auseinander, leeren sich da und dort, wandeln sich zu Skulpturen. Wie die imposante Halle am Kai vor der Marina San Giusto. Fast ein Jahrhundert diente sie dem Fischmarkt als Refugium und war damit ein Ort pulsierenden, lauten Lebens. Heute ist sie verstummt in ihrer Pracht, nächtens kalt beleuchtet, ein Architekturmodell im Maßstab 1:1, in dem Fische in Aquarien gehalten werden: Aquario Marino statt Fischmarkt, das Meer im Glas, statt auf Eis und in den Einkaufstaschen.
In ihrer vorbildhaften Konservierung spendet der Anblick des hohlen Tempels doch auch ein wenig Trost, indem er zeigt, wie sich das Lebende in Würde zum Denkmal wandeln kann.

Den gesamten Artikel lesen Sie in der Yachtrevue 12/2014, am Kiosk ab 1. Dezember!

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