Liparische Inseln
Revier mit vielen Tücken und ebenso vielen Reizen, besegelt von Jürgen Preusser
„Alicudi?“, lacht Giuseppe im Hafen von Palermo, nachdem wir ihm unser erstes Etappenziel verraten haben, „Alicudi ist der Arsch der Welt.“
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Nun, so viel sei verraten: Die westlichste der Liparischen Inseln ist nicht der Arsch der Welt. Man sieht ihn von dort nur sehr gut. Er liegt unmittelbar vor dem einzigen Ort der fast kreisrunden Vulkaninsel, in Form von ein paar Bojen zwischen zwei praktisch unbrauchbaren Steinmolen. Wer vor Porto Alicudi im Südosten der fünf Quadratkilometer kleinen Insel festmacht, ist in Gefahr: Kenternde Gezeitenströmung, Fallwind und ständige Dünung erfordern permanent aufmerksame Ankerwachen. Und das, obwohl Ankern hier unmöglich ist: 10 Meter vor den straußeneiförmigen Kieselsteinen des Strandes liegt man über der 5-Meter-Tiefenlinie, 30 Meter davor bereits auf der 30-Meter-Linie. Eine kleine Schnorchelei zu der höchst originellen Vertäuung der völlig verrotteten, fast luftleeren Kugelfender, die teilweise durch alte Fußbälle „verstärkt“ sind, zahlt sich trotzdem aus: Kleine, bunte Fische leuchten dem Taucher jene Strecke aus, die ein für eine ordentliche Boje notwendiger Betonblock nehmen würde: Er würde nonstop auf gut tausend Meter Tiefe kullern.
Der 300.000 Jahre alte Stratovulkan ist längst erloschen. Er wurde vor rund 8.000 Jahren von Händlern besiedelt, die auf der Suche nach dem begehrten Obsidian dort gestrandet waren. Die Griechen nannten die Insel Ericusa wegen des allgegenwärtigen Heidekrauts. Alicudi ist eine Verballhornung dieses Namens. Heute leben 100 Menschen im einzigen Ort der Insel. Die einzige Straße ist knapp 300 Meter lang. Das weiße Kircherl San Bartolo scheint über dem Ort zu schweben. Keiner aus unserer Crew kann sich vorstellen, wie hier auch noch 400 Meter über dem Meer Häuser errichtet werden konnten. Maultiere und Esel müssen in dem ausgeklügelten Treppensystem den Großteil der Arbeit verrichtet haben. Es gibt ein Postamt, eine Bar, ein Hotel, zwei Geschäfte, seit 1990 sogar elektrischen Strom, aber nur ein paar Straßenlaternen und ein weißes Blitzfeuer (alle 3 Sekunden) direkt am Molenkopf. Die vielen Muli-Pfade zum 675 Meter hohen Gipfel Filo dell’Arpa (Übersetzt: Saite der Harfe) bilden ein verwirrendes Geflecht – und am Ende scheitert doch fast jeder. Sei es wegen der Hilferufe der Ankerwache, wegen der immer dichter werdenden Macchia, oder einfach weil er sich verlaufen hat, obwohl es nur bergauf geht. Wer trotzdem so zivilisationsgeschädigt ist, dass er genau jetzt die wilden Weinstöcke, die Mandel- und Feigenbäume von Alicudi braucht, der sollte lange Lederhosen tragen. Und nicht mit dem Segelboot, sondern mit der Fähre kommen. Sie kostet 22 Euro von Milazzo im Norden Siziliens. Das kommt billiger als eine leckgeschlagene Yacht.
Giuseppe, ein in Stuttgart aufgewachsener Sizilianer, hatte uns auf Schwäbisch gewarnt. Trotzdem war das Frühstück vor Alicudi ein Highlight nach der 53 Seemeilen weiten, teilweise verregneten Mondsichel-Nachtfahrt mit gerade ausreichend Halbwind aus Süden. So ein Kaltstart macht Sinn, wenn man einen ganzen Urlaubstag in den Liparischen Inseln gewinnen will.
Den gesamten Revierbericht lesen Sie in der Yachtrevue 12/2014, am Kiosk ab 1. Dezember!