Weniger ist mehr
Wenn man glaubt, in einem Revier bereits jeden Stein zu kennen, kann ein Perspektivenwechsel helfen. Verena Diethelm hat sich deshalb mit kleinem Boot auf große Fahrt durch das Archipel von Zadar begeben und jede Menge Neues entdeckt
Törns beginnen oft in einer schicken Marina, einem mondänen Hafen oder einem exklusiven Yachtclub. Meiner beginnt an der E57 bei Ljubljana. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Europastraße befindet sich nämlich die Zentrale der Seascape Werft, die für Beneteau unter der Marke First sportliche Daysailer baut und mir die werfteigene First SE 24 für einen Recherchetörn zur Verfügung stellt. Es ist Ende August 2021 und der Urlaubs-Aufholbedarf nach Monaten der pandemiebedingten Einschränkungen offenbar groß: In ganz Kroatien lässt sich kurzfristig keine freie Charteryacht mehr auftreiben. Aber ich träume ohnehin schon seit Längerem von einem Törn auf kleinem Boot, vom Erkunden all jener Plätze, die für die meisten Charteryachten unerreichbar bleiben, und so kommt es mir sehr entgegen, dass mir die Slowenen aus der Patsche helfen.
Zeit um in Vorfreude zu schwelgen, habe ich genug. Da ich die gut versteckten Bootspapiere im ersten Anlauf auf dem Werftgelände vergessen habe, muss ich einen Großteil der 400 Kilometer langen Strecke doppelt zurücklegen. Erst spät am Abend komme ich in Jezera an, wo ich von Ivan und Barbara, den guten Geistern des Freespirit Sailing Centers, freundlich empfangen werde.
Der nächste Tag beginnt sehr früh, da meine Unterkunft (sprich mein Kombi) vor der Bäckerei von Jezera abgestellt ist. Das zeitige Aufstehen schadet aber nicht, denn die First SE 24 Gill muss erst aufgeriggt werden. Da meine Crew erst zwei Tage später an Bord kommen wird, gehen mir Ivan und seine Kollegen zur Hand. Gemeinsam bauen wir in rund drei Stunden das Boot auf, stellen den Mast und slippen. Blöd nur, dass sich der Außenborder nicht starten lässt. Unsere Reparaturversuche scheitern, der herbeigerufene Mechaniker stellt fest, dass das Treibstoffventil beschädigt ist und ausgetauscht werden muss. In der Zwischenzeit weist mich Ivan in die Geheimnisse des Schwenkkiels ein, der es erlaubt, den Tiefgang von zwei Meter auf 30 Zentimeter zu verringern. Dazu muss man im Inneren mit der Winschkurbel kurbeln und sich die genaue Anzahl der Umdrehungen merken. Das, was man raufgekurbelt hat, muss man nachher auch wieder runterkurbeln, damit sich der Kiel in der richtigen Position befindet. Einfach bis zum Anschlag zu kurbeln, ist keine gute Idee, weil man so möglicherweise die Dichtungslippe beschädigt und der Kielkasten dann nicht mehr dicht ist. Die eigentlich vorgesehene Sichtkontrolle durch eine Inspektionsluke hat leider eine Vorgängercrew geschrottet.
Aufbruchsstimmung
Als ich endlich auslaufbereit bin, ist es bereits Nachmittag und der Maestral hat ganz schön zugelegt. Ein bisschen flattern meine Nerven, als ich im Solo-Modus die Leinen loswerfe. Im Windschatten von Bosnajak beginne ich die Segel zu setzen und habe im böigen, drehenden Wind alle Hände voll zu tun. Mir fehlen die drei anderen Crewmitglieder, mit denen ich bisher die mit reichlich Segelfläche ausgestattete First/Seascape 24 gebändigt habe. Als das Fall endlich vollständig durchgesetzt, der Außenborder weggeklappt, die Genua ausgerollt ist und die First mit einem gewaltigen Satz nach vorne prescht, fühle ich mich, als hätte ich den stärksten Bullen im Rodeo bezwungen. Für die anfänglichen Strapazen werde ich mit einem herrlichen Am-Wind-Schlag Murter entlang belohnt.
Die Sonne steht schon als roter Ball am Horizont, als ich die Nordspitze erreiche. Als nächstgelegene Übernachtungsmöglichkeit bietet sich die hufeisenförmige Insel Zminjak an. Der Wirt des gleichnamigen Restaurants hat in der gegen Bora gut geschützten Bucht einige Bojen verlegt und vor seiner Konoba einen Schwimmsteg gebaut, der eine Wassertiefe von 1,5 bis vier Meter bietet. Anlegen darf jedoch nur, wer auch konsumiert. Das trifft sich gut, ich bin müde und hungrig, aber auch voller Endorphine und so bringen mich nicht einmal die geschmalzenen Preise – 200 Kuna (rund 27 Euro) für eine Portion Spaghetti mit Scampi – und der unterirdische Service aus meinem Flow.
Spielball der Elemente
Wie flüssiges Quecksilber, nur in intensivem Tiefblau, fließt trägt die Adria und reflektiert die Sonnenstrahlen. Seit einer guten Stunde beobachte ich aus einiger Entfernung die roten Felsen von Vrgada, was mich den Plan fassen lässt, diese zu einem späteren Zeitpunkt auch von der Nähe aus zu studieren. Bei einer größeren Yacht wäre jetzt die Versuchung groß, den Motor zu starten und mit der eisernen Genua auf die Schnelle ein paar Meilen gut zu machen. Ich mache es mir stattdessen im großen Cockpit, das eine hervorragende Sonnenliege abgibt, auf dem Sitzsack bequem, lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen und genieße das Leben.
Als um die Mittagszeit eine südliche Strömung einsetzt, ist es vorbei mit dem Müßiggang.