Rhythmus, Rum und Revolution
Kubas Öffnung wird in den kommenden Jahren vieles ändern, ob immer zum Besten, das darf bezweifelt werden. Die Seenomaden besegelten das Revier auf eigenem Kiel und tauchten tief ins ursprüngliche Land ein
Im Kielwasser die Bahamas, vor dem Bug Kuba. Nomad schießt auf raumem Kurs durch die Windward Passage, die Hispanola von Kuba trennt. In Abdeckung der Südküste lässt der Seegang merklich nach, doch der Wind, der mittlerweile auf Nordnordost gedreht hat, gibt Vollgas. Böen mit über 30 Knoten pfeifen von Bergen und aus Tälern.
Nach geloggten 286 Seemeilen und zweitägiger Überfahrt steuern wir die fjordähnliche Bucht von Santiago de Cuba an. Unser erster kubanischer Hafen! Wolf funkt mit der Marina Marlin und bekommt Anweisung, vorerst am Großschiff-Quarantäne-Platz auf 15 Meter Wassertiefe zu ankern. Nach einer knappen Stunde nähert sich eine Barkasse, und wir helfen dem dicken Medico über die Reling. Wegen der Ebola-Hysterie misst Dr. Luis unsere Körpertemperatur, danach füllt er gut gelaunt einen Stapel Formulare aus und bestellt drei kalte Bier. Eines für jetzt, zwei zum Mitnehmen. Dann dürfen wir in die Marina: ein vorrevolutionärer Plattenbau, zwei ramponierte Betonstege und als Stolpersteine einige aus dem Wasser ragende Treppenruinen. Zwei Stunden lang belagern freundliche Beamte die Kajüte. Die Herren vom Zoll entschuldigen sich dafür unser Boot durchsuchen zu müssen. Den Abschluss der Einklarierungsprozedur macht ein desinteressierter, süßer Drogenhund. Geschafft, wir sind offiziell in Kuba eingereist!
"Bienvenidos a Santiago!", begrüßt uns Hernan, der uns in die Stadt bringt. Unser Taxifahrer ist studierter Jurist. Von seinem Beruf kann er nicht leben. Jahrelang hat er für den Staat um 20,– CUC pro Monat gearbeitet. Jetzt verdient er als Taxifahrer das Vierzigfache – reich wird er aber auch davon nicht. Hernan klappert mit uns Obst- und Gemüsestände ab. Hier zahlt jeder, ob Einheimischer oder Tourist, mit dem Peso Cubano, der Landeswährung, die so weich ist, dass im Norden der Insel kaum noch etwas dafür zu haben ist. Dort zählt nur noch der Peso Convertible, kurz CUC, ein Geniestreich Raúl Castros, der seinen Bruder Fidel 1994 überredete, die Ausländerwährung einzuführen, um den Dollar abzuschaffen.
30 Seemeilen weiter im Westen liegt die versteckte Mangrovenbucht Chivirico. Auflandiger Wind, vom Busch überwucherte Peilbaken und dünne Stäbe, die die im trüben Wasser kaum sichtbaren Riffe markieren. Keine Einfahrt für schwache Nerven. Laut Plotter motoren wir schon auf der Küstenstraße! „In Chivirico dürft ihr nicht an Land!“, wurde uns in Santiago eingebläut. Warum? Haben wir nie erfahren. Das Leben in Kuba wird noch immer von absurden Regeln des Sozialismus erschwert. Daher verzichten wir auf den Mojito in der verlockenden Ufer-Bar. Sitzt dort nicht ein Uniformierter mit schwarzen Sonnenbrillen und beobachtet uns?
Ein weiterer Tagestörn bringt uns nach Marea del Portillo, ein herrlicher Ankerplatz vor einem armseligen Dorf. Am groben Kieselstrand erwarten uns einige Frauen, die Souvenirs wie Armbänder, Schlüsselanhänger und Halsketten gegen Schuhe oder Kleidung tauschen wollen. Mit Geld fangen sie nichts an, denn in den hiesigen Läden gibt es nichts zu kaufen.
Geschenkte Meilen
20 Knoten Passat schieben uns entlang der Südküste gen Westen. Im Hinterland die kahlen Berghänge der knapp 2.000 Meter hohen Sierra Maestra, wo sich einst Rebellen wie Che Guevara, Camillo Cienfuegos und die Castro Brüder versteckten und die Revolution vorbereiteten. Hinter dem Cabo Cruz segeln wir ins Lee, der Wind ist wie abgedreht.
Im Morgengrauen passieren wir die Riffpforten der Jardines de la Reina durch den Canal de Caballones. In den Gärten der Königin sind wir weit weg von Trubel und Tourismus. Weit weg vom Rest der Welt. Weit weg von den Verstrickungen und Erwartungen des Lebens in der Zivilisation. Dafür umgarnt vom Flüstern des Ozeans. Das tut verdammt gut, wir können wieder atmen. Jeden Tag ein paar Meilen übers flache Meer zu einem anderen Cayo.
Zu den wenigen rundum geschützten Ankerplätzen in der Umgebung zählt die Lagune von Cayo Cuervo, daher ist sie ein beliebter Treffpunkt für die lokalen Fischer. Grünlich-trübes Wasser dämpft die Freude am Baden, der Insektenreichtum die Lust auf einen Landgang. Aber das Tauschgeschäft mit den kubanischen Fischern floriert. Wir erhalten Langusten, Shrimps und Fisch, revanchieren uns mit Kaffee, Rum, Bier und Kleidung. Renso lädt uns auf sein Ferrozement-Boot ein und zeigt uns stolz das große Langustenbecken in der Schiffsmitte. Die Männer arbeiten zehn Tage am Stück, dann haben sie fünf Tage frei. Am 1. März beginnt die Schonzeit für Langusten und für die Fischer eine dreimonatige brotlose Zeit.
Erst in der Dunkelheit trauen sich Renso und Haiko zu uns an Bord, denn offiziell dürfen sie ausländische Yachten nicht besuchen. Haiko übernimmt das Kommando in der Pantry und befreit die gekochten Langusten von ihren stacheligen Panzern. „Der Wandel ist unausweichlich“, meint Renso. „Wir befinden uns in der transición, im Übergang zu einer offenen Gesellschaft." Am meisten bedrückt ihn das Scheitern der Ideologie, für die er vor langer Zeit kämpfte.