In bester Gesellschaft
Die Stagsegelketch Rhea ist das neueste Schiff des deutschen Unternehmens Sailing-Classics. Bei ihrer Jungfernfahrt durch die Kykladen verband sich außergewöhnlicher Segelgenuss mit individuellem Erleben
Weit trägt der Wind die helle, kräftige Stimme über das Wasser: „Ich taufe dich auf den Namen Rhea und wünsche dir und allen, die mit dir sind, viel Glück. Mögest du stets heil über die Meere segeln!“ Die mit Schwung geworfene Champagner-Flasche zerbirst mit einem Knall am Steuerbord-Anker; Franziska, die Tochter des Eigners, die seit einem halben Jahr mit ihm zusammenarbeitet, hat ihre Sache gut gemacht. Vater Andreas Steidle-Sailer, der mit Crew, Gästen und seiner Frau Barbara am Vorschiff steht, hebt das Glas und bringt einen Toast aus. In seinen Augen glitzert es verdächtig; dass die Rhea nach all den Schwierigkeiten endlich bereit für ihre Jungfernfahrt ist, geht ihm sichtlich zu Herzen. Es ist das dritte Schiff, das der umtriebige Firmenchef in die Welt gesetzt hat, doch bei keinem war die Geburt so schwierig gewesen wie bei diesem. Immer neue Auflagen der Behörden, unerwartet streng interpretierte Brandschutzvorschriften, Bauunterbrechung, Riggteile, die monatelang im Zoll feststeckten, Beschläge, die falsch geliefert wurden – an manchen Tagen hätte der Schwabe am liebsten alles hingeschmissen. Tat er aber nicht, und darum schaukelt sein Baby nun unter wolkenlosem Himmel vor der Insel Delos, dort, wo zu Anbeginn der Zeiten der strahlende Lichtgott Apoll geboren wurde. Eine bessere Kulisse hätte man für die Zeremonie nicht finden können.
Anker auf, wir wollen los. Flugs werden an beiden Stahlmasten die Segel gesetzt, danach die Vorsegel ausgerollt; insgesamt gehen 1.000 Quadratmeter Tuch hoch. 48 Meter misst der Hauptmast über dem Wasser, der weiter achtern stehende Mast ist etwas kürzer. Schon fliegen wir über die tiefblaue Ägäis, stechen zwischen Naxos und Paros durch, erreichen eine Geschwindigkeit von zehn Knoten. Andreas Steidle-Sailer lässt es sich nicht nehmen bei der ersten Ausfahrt unter Segel selbst am Rad zu stehen. Souverän dirigiert er die Rhea Richtung Süden, genießt ihre harmonischen Bewegungen in der Welle, strahlt übers ganze Gesicht, schüttelt immer wieder ungläubig den Kopf. Täusche ich mich, oder glitzert es da schon wieder …
Später darf ich das Steuer übernehmen. Nicht so einfach wie ich dachte. Der Zweimaster ist 54 Meter lang und beladen fast 400 Tonnen schwer, entsprechend träge reagiert er. „Je größer das Schiff ist, desto besser musst du antizipieren können“, erklärt mir Richard, der Skipper. Der weizenblonde, drahtige Holländer hat zwölf Jahre den Clipper Stad Amsterdam befehligt und ist ein mit allen Wassern gewaschener Vollprofi, ich bin Zweimaster-Novizin und tue mir mit der Antizipation noch ein bisschen schwer. Böse Menschen könnten aus der Kurslinie, die ich auf den Plotter zeichne, schließen, dass ich betrunken wäre. Aber mit der Zeit bekomme ich ein Gefühl für die Lady und lerne zum richtigen Zeitpunkt Gegenruder zu geben. Bald sausen wir pfeilgerade auf unser Ziel zu, Richard ist zufrieden, ich bin mehr als das, nämlich rundum glücklich.
Frühlingsgefühle
Ios ist angeblich eine Partyinsel, doch davon ist Anfang Mai nichts zu spüren. Gott sei Dank. Die Nacht haben wir vor Anker verbracht, nach dem Frühstück bringt uns das Dingi an Land. Vom Pier wandern wir über windschiefe Treppen und unter zerzausten Schwarzföhren hinauf zur der malerisch auf einem Hügel gelegenen Chóra. Dabei begegnen wir kaum einer Menschenseele, viele Läden und Restaurants haben noch geschlossen. Oberhalb des Ortes führt ein gepflasterter Weg zu einer Kirche mit himmelblauer Kuppel und weiter zu drei Kapellen, eine putziger wie die andere. Wir waren noch nie im Frühling in den Kykladen und sind überwältigt vom Blütenmeer ringsum. Klatschmohn, Winden, Disteln und Margeriten tupfen bunte Bilder in die Landschaft, die zinnoberroten Geranien, die wir daheim in Balkonkästen setzen, wachsen hier hüfthoch.