Griechisch Blau
Im Norden des Ionischen Meers liegt mit Korfu und seine Nachbarinseln ein kleines, feines Fahrtgebiet, in dem man den Spuren des Odysseus folgen und sehr entspannte Tage verleben kann
Die griechische Mythologie ist keine exakte Wissenschaft. Daher lässt sich vieles nicht überprüfen. Zum Beispiel, wie sich das Leben auf der Insel der Phaiaken wirklich abgespielt hat. Dorthin spülten die Meereswogen den nackten Odysseus. Jungfrauen fanden, badeten und salbten den „göttlichen Dulder“ und erquickten ihn mit allerlei anderen Freundlichkeiten. Ovid sagt, das Leben auf der Phaiakeninsel war ziemlich erstklassig.
Auf Scheria soll sich das zugetragen haben. Eine Mehrheit der Experten für antikes Schriftgut meint, es handle sich um das heutige Korfu. Das Wort Korfu käme nämlich von Kerkyra, dem Namen einer Nymphe, die der Meeresgott Odysseus ziemlich gern gehabt habe.
So weit, so klar, so eng verwoben mit dem Meer.
Befasst man sich näher mit den Phaiaken und Scheria-Kerkyra-Korfu, führt das geradewegs in ein Themenfeld, das uns Heutigen die Urlaubstage kurzweilig werden lässt: Essen, Trinken und die Seefahrt.
Die Phaiaken sollen ein entspanntes Völkchen mit ausgeprägter Neigung zu leiblichen Genüssen gewesen sein. Von Entbehrungen und harter Arbeit auf Scheria wird nicht berichtet. Das konnten sich die Phaiaken leisten, weil sie technisch sehr fortgeschritten waren. Ihre Schiffe hielten Kurs ganz ohne Zutun eines Steuermanns und schwebten über die Wellen wie auf silbernen Flügeln. So schreibt es der Dichter. Knapp dreitausend Jahre hat es gedauert, bis die seegehende Menschheit dergleichen wieder hingekriegt hat.
Schmausen, zechen, lässig segeln. Das war also der hauptsächliche Lebenszweck der Phaiaken. Und wie verhält es sich heute mit den kulinarischen und nautischen Möglichkeiten auf und rund Korfu?
Neigungsgruppe Essen & Trinken
Tadellos, kann ich berichten. Tavernen satt, wo immer du an Land gehst. Und keine Überraschungen. Die griechische Küche, die nicht in dem Sinn eine Küche ist, als dass sie raffinierte Gerichte oder Kochtechniken hervorgebracht hätte, hat den Vorzug der leichten Überschaubarkeit und Wandlungsresistenz. Daher werden in allen gastlichen Stätten Griechenlands alle Gerichte angeboten, die in der griechischen Küche prominent sind. Darüber hinaus wird in so gut wie allen gastlichen Stätten Griechenlands nichts angeboten. Kreative Küche? Wer braucht das, so lange sich ein Stück Lamm oder Schwein oder das Huhn am Spieß dreht? So lang in zerbeulten Blechtöpfen Stifado und Fasilakia lauwarm dümpeln oder man Souvlaki auf den Grilll rollen kann? Soll man sich großartig Gedanken machen, wo das Tsatsiki besonders cremig und wo es durch eine dramatische Knoblauchkonzentration das Zeug zur Ausrottung der Vampire hat? Es ist, glaub mir, verehrte Leserschaft, völlig unerheblich. Es wird dir in griechischen Tavernen nichts zugemutet werden, das du nicht schmerzfrei essen kannst. Es wird sich alles beglückend mit dem gut gekühlten Wein verbinden. Es wird der Wein nie exzellent sein und selten nicht zu saufen. Also wäre es müßig, sich nach guten und noch besseren Lokalen umzusehen. Nimm, Leserschaft, in griechischen Revieren den Platz mit frischer Luft und angenehmem Blick und genieße dazu, was man dir auf den Tisch stellt.
Die Erhebung der kulinarischen Erbauung zu veritablen Erlebnissen kommt selten aus den Küchen oder Weinvorräten (ein Beispiel dafür werde ich später nennen), sondern gelegentlich durch eine spezielle Atmosphäre. Dafür kann man Petriti ansteuern.
Wer von Gouvia, wo die Charterschiffe an der Leine liegen, südwärts segelt, findet auf Korfu nur wenige Stationen für die gute Nacht. Petriti ist eine davon. In Petriti haben die Fischer von Korfu ihre Basis. Fischfang-„Flotte“ war früher, heute beschränkt sich das Geschwader auf ein halbes Dutzend Schiffe und ein gutes Dutzend Kähne. Mit Anbruch der Nacht tuckern die Fischer aus dem Hafen, jedes Schiff mit einem Kahn im Schlepptau. Bei Sonnenaufgang kehren sie wieder. Die müden Männer bringen bedächtig ihre Geräte und Netze in Ordnung, rauchen, trinken den letzten Rest Kaffee und stellen den Fang der Nacht auf den Kai. In den nächsten Stunden kommen und gehen Männern und Frauen, betrachten und besprechen, was zu haben ist, und tragen ihren Bedarf an Sardinen, Makrelen und Oktopussen in blauen Plastiksäcken weg. Immer sind die Säcke blau, denn Blau ist die Farbe Griechenlands.
Allmählich leert sich der Pier. Der letzte Fischer kippt eine Schüssel mit Beifang vor ein rostiges Tor. Ein paar Katzen finden sich hastlos ein, um ihre Morgenmahlzeit zu vertilgen.
Die kommunalen Einrichtungen der Stadt und touristischen Sehenswürdigkeiten Petritis sind überschaubar. In ambitionierteren Zeiten wurde nah am Meer ein Park angelegt, der sich nur noch als ringförmig betonierte Sitzgelegenheiten zwischen Unkraut darstellt. An einem kleinen Strand aus Kies und angeschwemmtem Müll ragt eine Betonsäule mit rostigen Duschköpfen aus dem Boden. Die Wasserleitung führt kein Wasser. Wenn nicht ein unwahrscheinliches EU-Projekt zur Förderung der öffentlichen Duschkultur die Konstruktion aus dem Dornröschenbann erlöst, wird sie bis zum jüngsten Gericht kein Wasser spenden.
Da und dort liegen Boote an Land. Vergessen von Besitzern mit guten Absichten, doch ohne die erforderliche Energie, das Projekt erfolgreich abzuschließen. Nun sind die Boote Strandgut und nur noch den Katzen nützlich, die im Schatten der Boote dösen.
Petriti ist authentisch, in guter wie in schlechter Hinsicht. Wer nach High-End-Maßstäben empfindet, kann von den Mängeln und Unzulänglichkeiten verstört die Flucht ins nächste Ressort oder eines der herausgeputzten Dörfer mit moderner Infrastruktur ergreifen. Davon gibt es auf Korfu genug. Petriti ist einfach old style und allein deshalb der Beachtung wert.
Auf der Straße den Berg hinauf liegt der Supermarkt des Ortes, ein Laden mit imposantem Reklameschild und ebensolchem Sortiment, aber wenig Raum. Vollgestopft bis unter die Decke ist hier alles für den täglichen Bedarf zu haben, vom Gemüse bis zum Strohhut und allen denkbaren Konserven. Daneben befindet sich der Laden für den besonderen Luxus: Rent a Car. Das Car ist klein und wird von den Vermietern hingebungsvoll von Staub befreit. Woher die Mieter kommen sollen, ist ungewiss. Vielleicht von einer der Yachten, die an der Mole vertäut oder in der weiten Bucht vor Anker liegen.Ein weiteres kleines Stück den Berg hinan gelangt der Wanderer in den alten Ort. Wenn überhaupt, begegnet er hier alten Menschen. Frauen in Schwarz, hageren Männern mit ordentlichen Anzügen und ebensolcher Haltung, denn Griechen präsentieren sich in der Öffentlichkeit korrekt, auch wenn sie bettelarm sind. Bei den Jungen, denen die neue Zeit gehört, ist das nicht mehr so. Sie tragen T-Shirts mit fragwürdigen Parolen und sind wie überall auf der Welt ganz eins mit ihrem Smartphone. Die Jungen leben in modern gebauten Häusern an der Durchfahrtsstraße, nicht im alten Ort. In ihren Gärten stehen abgestaubte Autos. Durch den alten Ort fließt kein Verkehr, dort stehen keine Autos. Hier steht die Zeit still, hier ist noch das Griechenland zu spüren, wie es vor der Zeit des großen Tourismus war, als es keine Autos, sondern bestenfalls Esel zu mieten gab.
An einer staubigen Straße beim Hafen stehen drei Restaurants am Strand. Gaststätten, wie sie tausendfach in der Adria und der Levante vorhanden sind. Kulinarische Erlebnisse werden nicht geboten. Der Wirt zeigt dir den Fisch und die vorbereiteten Gerichte. Die Tischtücher sind aus Papier, die Katzen zwischen den Tischen auf der Pirsch. Die Sonne sinkt glutrot ins Meer. Der Oktopus in Essig schmilzt am Gaumen. Ein Schwall Assyrtiko folgt ihm den Schlund hinab, am Gaumen bleibt der Urgeschmack des Insellebens bis in die tiefe Nacht. Drei Männer mit Instrumenten, guten Stimmen und einer Büchse für die Gage bieten die akustische Untermalung.